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Klimaneutralität im Flugverkehr – Diskussion Ethik der Mobilität 2020

Klimaneutralität im Flugverkehr ist mittel- und langfristig ein Ziel, das erreichbar ist angesichts von Technologien, die aktuell und in naher Zukunft verfügbar sind. Die Aviation-Branche setzt deshalb auf synthetische Kraftstoffe, die im Power-to-Liquid-Verfahren hergestellt werden können, und auf Wasserstoff, der in Brennstoffzellen in Strom umgewandelt werden kann. Die Anforderung, die Branche zu dekarbonisieren, steht außer Frage. Das sind die Ergebnisse der Diskussion in der Veranstaltungsreihe „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“

Klimaneutralität im Flugverkehr fordert die Akteure und die Politik heraus, weil neben technologischer Entwicklungen vor allem der ordnungspolitische Rahmen für die Nutzung synthetischer Kraft oder von Wasserstoff so zu gestalten ist, dass im Zuge der Transformation der Aviation-Sektor in Deutschland nicht im internationalen Wettbewerb benachteiligt wird.

Das ist eines der Ergebnisse der Diskussion 2020 in der Reihe “Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?”. Es diskutierten Stefan Gerwens, Leiter Verkehr, ADAC, Hannah Helmke, Gründerin und CEO von right.based on science, Prof. Dr. Claudia Hornberg, Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung, Dr. Stefan Schulte (CEO Fraport) und Ralf Teckentrup (CEO Condor).

Klimaneutrales Fliegen und die Folgen der Pandemie

Der Aviation-Sektor zählt in der Corona-Pandemie zu den am härtesten betroffenen Branchen: Von rund 850.000 Beschäftigten in Deutschland, die direkt und indirekt abhängig sind vom Flugverkehr, waren lediglich noch 170.000 Männer und Frauen voll beschäftigt, „die Übrigen waren in Kurzarbeit“, sagte Condor CEO Ralf Teckentrup. Die ohnehin miserable Lage werde sich durch Einreisebestimmungen und durch die Ausweisung von Risikogebieten vermutlich noch weiter verschlechtern.

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CONDOR-CEO Ralf Teckentrup (li) und Stefan Gerwens, Leiter Verkehr, ADAC (Bild: Steffen Albrecht / HOLM)

Fraport-Vorstandschef Dr. Stefan Schulte bezeichnete die Lage als katastrophal. „Das wird sich in den nächsten Monaten auch nicht verändern.“ Licht am Horizont sieht der Frankfurter Flughafen-Chef erst 2021 oder 2022. Dr. Schulte: „Ein Normal Null erwarten wir erst in einigen Jahren, dann wird der Markt kleiner sein als 2019, danach erwarten wir weiteres Wachstum.“

Klimaneutralität durch synthetische Kraftstoffe

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Fraport CEO Dr. Stefan Schulte (Bild: Steffen Albrecht / HOLM)

Die Notwendigkeit, den Verkehr im Allgemeinen und den Flugverkehr mittel- und langfristig im Besonderen zu dekarbonisieren, steht für alle TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion außer Frage.

Aktuell rechnet Condor nach Angaben von Vorstandschef Teckentrup mit einem Verbrauch von 2,9 l Kerosin pro Passagier auf 100 km Strecke. Der Durchschnitt deutscher Fluggesellschaft liegt bei 3,58 l pro Passagier auf 100 km. „Wenn ich neue Flugzeuge hätte, läge der Verbrauch sogar bei 2,5 bis 2,6 Liter.“ Das löse aber nicht die Probleme der Luftverkehrsindustrie, sagte Teckentrup.

Klimaneutralität im Aviation-Sektor sei nur durch Einsatz synthetischer Kraftstoffe zu erreichen. Synthetische Kraftstoffe werden im Power-to-Liquid-Verfahren (PtL) über Wasserelektrolyse erzeugt. Dabei wird Kohlenstoff, also Kohlendioxid, der Luft entnommen. Aus Wasser gewinnt man Wasserstoff durch Elektrolyse mit Strom aus erneuerbaren Quellen. Kohlendioxid und Wasserstoff reagieren dann im weiteren Prozess zu einem Gemisch aus Kohlenwasserstoffen, das wiederum aufgespalten werden kann in Benzin, Diesel oder Kerosin. Nachhaltig und klimaneutral ist der synthetische Kraftstoff dann, wenn der Kohlenstoff aus dem CO2 aus der Luft genommen nicht aus fossilen Brennstoffen gewonnen wird.

Ralf Teckentrup: “PtL in Serienreife bringen.”

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Ethik der Mobilität 2020 (Bild: Steffen Albrecht / HOLM).

PtL sei eine entwickelte Technik, „wir müssen sie in Großserienreife bringen, damit wir Skaleneffekte erzielen und diese Kraftstoffe günstiger werden“, sagte Teckentrup. PtL-Kerosin sei heute dreimal so teuer wie konventionelles Kerosin.

Eine andere Variante sei die Verwendung von Wasserstoff in einer Brennstoffzelle. Das sei technologisch anspruchsvoller als die PtL-Erzeugung und deshalb eine Zukunftstechnologie. Die beiden großen Flugzeughersteller Airbus und Boeing und die drei Triebwerkshersteller könnten solche Entwicklungen laut Teckentrup nicht allein bewältigen. „Es braucht einen politischen Willen und internationale Zusammenarbeit.“

PtL: Fraport engagiert sind in Brasilien

Fraport ist nach Angaben von Flughafen-Chef Schulte bereits in einem Konsortium in Brasilien an der Testherstellung im PtL-Verfahren beteiligt. Wasserstoff könne in Kontinentalbereich eingesetzt werden, „im Interkontinentalbereich wohl nicht nach dem jetzigen Stand der Forschung.“

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Ethik der Mobilität 2020 ( Bild: Steffen Albrecht / HOLM).

Schulte betonte wie Teckentrup die internationale Dimension dieser Transformation hin zu klimaneutralen Treibstoffen. „Wir werden nie eine Lösung finden, die in Deutschland, in der EU allein funktioniert. Dafür ist der Markt zu klein für die Hersteller. Wir brauchen eine Weltlösung.“

Beim PtL-Verfahren sieht Schulte die Herausforderung darin, ausreichend sauberen Strom zu bekommen. „Wir müssen deshalb mit Spanien, Marokko und Tunesien zusammenarbeiten. Darin liegt die Schwierigkeit.“

Skepsis beim Thema Kompensationszahlungen

Eine andere Herausforderung sei der Ordnungsrahmen. Wenn synthetische, teurere Kraftstoffe, die über das PtL-Verfahren gewonnen werden, in das Kerosin zunächst beigemischt werden, stehe die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Spiel. „PtL allein in Deutschland wird nix bringen, wenn es die Türkei beispielsweise nicht macht. Wir verlieren sonst nur Arbeitsplätze und haben für das Klima nichts erreicht”, sagte der Fraport-Chef.

Zurückhaltend bis kritisch reagierten die Podiumsteilnehmer auf die Wirksamkeit und Perspektiven von Kompensationszahlung für Flugreisen, mit denen das ausgestoßene CO2 etwa durch Baumpflanzungen oder andere Projekte weltweit kompensiert wird. Dabei wird, abhängig von der zurückgelegten Flugstrecke, Geld bezahlt, das in Ökoprojekte weltweit investiert die, mit denen der CO2-Ausstoß vermindert wird.

Helmke: “Kompensationen sind ein Risiko”

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Hannah Helmke, Gründerin und CEO von right.based on science (Bild: Steffen Albrecht / HOLM).

Hannah Helmke, Gründerin und CEO des Frankfurter start-ups  right.based on science, bewertet Kompensationszahlungen von Unternehmen aus der Risikoperspektive und sieht das Problem darin, dass irgendwann so viel Geld für Kompensationen ausgegeben worden sein könnte, dass es dann besser gewesen wäre, wenn das Geld in Innovation investiert worden wäre, durch die das Unternehmen permanent profitiert, weil beispielsweise weniger CO2 emittiert wird. „Kompensationen sind ein gigantisches Risiko.“

„Wenn wir das machen würden, müssten wir dreifach kompensieren. Dann würde das Flugticket im Schnitt sechs bis acht Euro teurer bei einem Durchschnittspreis von heute 110 Euro. Das sind umgerechnet sieben bis acht Prozent Preissteigerung. Damit sind wir aus dem Markt,“ sagte Condor-CEO Teckentrup.

Der Anteil der Passagiere, die bereit sei, sieben bis acht Euro mehr zu zahlen, sei kleiner als ein Prozent. „Wir müssen die Bürger überzeugen, dass sie selbst bereit sind, ihre Zahlungsbereitschaft zu verändern.“ Die Verhaltensweise zu ändern, sei die zentrale Herausforderung.

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Diskussion “Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten? 2020 mit dem Schwerpunkt Aviation (Bild: Steffen Albrecht / HOLM).

Aber was passiert, wenn eine wachsende Gruppe von VerbraucherInnen beispielsweise nicht mehr bereit ist, eine „4° C Mobilität“ zu akzeptieren? Diese Frage stellte an diesem Abend Hannah Helmke, die mit right.based on science die ökonomische Emissionsintensität von Unternehmen analysiert und ermittelt, wieviel Emissionen ein Unternehmen braucht, um Wertschöpfung zu generieren. Das Ergebnis wird hochskaliert und der hypothetische Fall konstruiert, was im Blick auf die Klimaziele passieren würde, wenn alle Unternehmen diese Menge an CO2 emittieren würden. Die Ergebnisse hat right.based on science in der Studie „What if“ veröffentlicht (Link am Ende des Beitrages).

Unternehmen wie Lufthansa oder MTU sind auf Grundlage dieser Analyse auf einem 3,6° C und 5,8° C Pfad. Condor und Fraport hat right.based on science im What if-Report nicht analysiert.

Möglicherweise könnte die Akzeptanz für solche Unternehmen bei Jüngeren schwinden, wenn die CO2-Ziele in diesem Ausmaß verfehlt würden. Das hätte Konsequenzen für die Werbung um Nachwuchs und den gesamten Bereich der Human Resources.

„Es kann sei, dass die Leute in zehn Jahren sagen, ich möchte nicht mehr mit einer 4° C Airline fliegen. Das kann sehr schnell gehen”, sagte Helmke. Dann sollten die Unternehmen ins Risikocontrolling gehen, um zu schauen, „ob die eigene Strategie dagegen resilient ist.“

Geschäftsmodelle für verschärfte Klimaziele entwickeln

Es sei von Vorteil, vor diesem Hintergrund neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, um damit auf die Bedürfnisse der Stakeholder und verschärfte Klimaziele zu reagieren: „Das begeistert dann alle Stakeholder, vom Mitarbeiter über den Investor bis hin zum Kunden und Talenten.“

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Prof Dr Claudia Hornberg, Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung.

Zuvor hatten Prof. Dr. Claudia Hornberg, Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen (SRU), und Stefan Gerwens, Leiter Verkehr beim ADAC, Impulse für die Diskussion gegeben. Prof. Dr. Hornberg sagte, dass der CO2-Ausstoß nicht nur aus Gründen des Klimawandels reduziert werden müsse, sondern auch aus Gründen einer verringerten Krankheitslast, also der Belastung durch Erkrankungen als Folge etwa des Stickoxid-Ausstoßes und der Feinstaubemissionen.

“Wir brauchen eine Umweltberichterstattung”

„Um Handeln zu können, haben wir genügende epidemiologische und genügend toxikologische Daten. Wir tun gut daran, Mobilitätsszenarien zu verändern, um nicht nur Lärm, sondern auch Feinstäube und Stickoxide zu verringern.“

Der SRU hat deshalb u.a. vorgeschlagen, Integrierte Verkehrsentwicklungsplanung für Städte mit mehr als 50.000 Einwohner zu erstellen. „Wir brauchen eine Umweltberichterstattung“, sagte Prof. Dr. Hornberg. Zudem müssten Synergien genutzt und die Themen Klimawandel, Lärm und Luft gekoppelt werden.

„Das Straßenverkehrsrecht muss zugunsten des Umweltverbundes reformiert werden, wir müssen Fuß- und Radverkehr ausbauen, den Parkraum besser bewirtschaften und eine streckenabhängige Pkw-Maut einführen.“

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Stefan Gerwens, Leiter Verkehr, ADAC

Stefan Gerwens sprach sich ebenfalls für eine Dekarbonisierung des Straßenverkehrs bis 2050 aus. Er geht davon aus, dass „wir mittelfristig eine ökonomisch und sozial verträgliche Umsetzung erleben werden“. Im Verkehrssektor sei man bislang noch nicht so erfolgreich gewesen.

Gerwens machte deutlich, dass es in der Diskussion im Klimawandel und Dekarbonisierung nicht darum gehe, Mobilität einzuschränken. Diesen Ängsten und Sorgen müsse man begegnen und die Menschen für Veränderungen begeistern. „Wir müssen ihnen etwas Positives vermitteln.“

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Das Panel der Ethik der Mobilität-Diskussion 2020 (v.l.): Moderator Jürgen Schultheis, Hannah Helmke (right.based on science), Dr. Stefan Schulte (CEO Fraport), Prof. Dr. Claudia Hornberg (Vorsitzende des Sachverständigenrates für Umweltfragen der Bundesregierung, SRU), Ralf Teckentrup ( CEO CONDOR) und Stefan Gerwens (Leiter Verkehr, ADAC) Bild: Steffen Albrecht / HOLM).

Der Veranstaltung „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“ wird vom Deutschen Mobilitätskongress, dem RMV, dem ADAC und dem VfV unterstützt und findet in Kooperation mit unserem Medienpartner hr-info statt. Roman Warschauer (hr-info) und Jürgen Schultheis moderierten die Veranstaltung Ende September im House of Logistics and Mobility (HOLM) in Frankfurt am Main.

·         „What if“-Report von right.based on science (Download)

·         Umweltgutachten 2020 des Sachverständigenrates (Download)

·         ADAC-Studie „Mobilität der Zukunft“ (Download)

Klimaneutralität im Flugverkehr, Werner Geiß, hr-info, Roman Warschauer, Ethik der Mobilität 2020, Jürgen Schultheis, Frankfurt, Hessen, Steffen Albrecht
VCD-Landesvorstand Werner Geiß bei der Ethik der Mobilität Diskussion mit Roman Warschauer von hr-info (Bild: Steffen Albrecht / HOLM).

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