Frankfurts Runde Ecke 1953 bis 2006 – das alte Gebäude der Frankfurter Rundschau

Eine Frankfurter Sensation und vermutlich überregional sogar eine Attraktion, das war Frankfurts Runde Ecke, das damals neue, inzwischen längst abgerissene Gebäude der Frankfurter Rundschau: Im Sommer 1953 zieht die Redaktion der Frankfurter Rundschau (FR) vom alten Domizil in der Schillerstraße in das neue Haus an der Großen Eschenheimer Straße 16-18 um.

Wilhelm Berentzen hat das siebengeschossige Gebäude entworfen und dabei offenbar Anleihen beim Schlesinger und Mayer Store in Chicago genommen,  das heute unter dem Namen Sullivan Center firmiert. Die “Runde Ecke” des FR-Gebäudes, die auch das Sullivan Center auszeichnet, war lange Jahre ein prägendes wie unverwechselbares Element in der Architektur der Stadt Frankfurt.

Von 2005 bis 2006 ist das Gebäude abgerissen worden und mit ihm ein wichtiges Kapitel nicht nur Frankfurter Architekturgeschichte verloren gegangen. Mit dem Abriss ging auch eine Landmarke des bundesdeutschen Journalismus verloren, die über Jahrzehnte bundesweit wie regional vernehmbar war und gehört wurde.

Die rund 70 Bilder dieser Dia-Schau sind in den Jahren 2005 und 2006 entstanden und erinnern an Frankfurts Runde Ecke, diese Landmarke, mit der ich wie viele ehemalige Kolleginnen und Kollegen der Frankfurter Rundschau viele kreative und wunderbare Arbeitsjahre verbinden. Zum 70. Geburtstag der FR soll das an dieser Stelle auch ein kleines Geschenk für alle sein, die sich als Redakteurinnen und Redakteure wie als Leserinnen und Leser gerne an diese Zeitung und diese Zeit erinnern.

Christian Thomas, heute Feuilleton-Chef der Zeitung, hat im Juli 2005 einen wundervollen Text über das Haus geschrieben.

Siehe unten

 

Aus einer anderen Zeit

Von Christian Thomas

Der Wirtschaftswundermann hieß Wilhelm Berentzen – jetzt steht der Abbruch seines einmaligen Rundschauhauses bevorLeser! Frankfurter! Wenn es eines Tages zu so etwas wie einer Rundschauhaus-Denkschrift kommen sollte, dann wird kaum von einem Wunderwerk die Rede sein, wahrscheinlich aber von einem sehr sachlichen Arbeitsplatz, zu dem zwei sehr schöne Details gehört haben. Alles über den Umzug der FR: In eigener Sache

Gefärbt sind die Blätter bestimmt nicht erst seit gestern, kartonfarben oder schorlefarben, umzugskartonfarben könnte man sogar sagen. Oder gar apfelschorlefarben? Aber vielleicht, wer weiß, liegt es nur am Blick. Fünfzig Jahre alte Zeitungsdokumente sind nun mal in besonderer Weise getönte Belege. Solche Blätter kann man wenden, wie man will, unter einem naturtrüben Augenschein beleben sie selbst tote Materie.

Leser! Vom Rundschauhaus, so wie das Bauwerk in Ausschnitten auf dem hellbraunen Schreibtisch, neben Bildschirm und Tastatur liegt, sind Schaufenster und Schalter auszumachen, auch Eichenholzmöbel und Stehpulte, beide untergebracht in der Inseratenannahme. Redaktionsschreibtisch, Redaktionsstuhl, Redaktionsschreibmaschine und Redaktionspapierkorb (oder gar die legendäre Linotype, die Zeilengießmaschine) zeigen die Blätter in den Akten nicht.

Frankfurter! Der 8. August 1953 ist ein Tag, an dem die Frankfurter Rundschau wie eine einzige große Frankfurter Anzeigenannahmestelle in die eigene Zeitung kommt. Hinter schlank ausgebildeten Betonstützen und ansehnlich breiten Fenstern geschieht das. Der Umzug der Redaktion im Sommer 1953, von der Schillerstraße in die Große Eschenheimer Straße 16-18, wird dann im September in einem Artikel annonciert, ohne dass zu ihm auch ein Foto gestellt worden wäre (was man, Leser!, von heute aus gesehen, programmatisch verstehen darf). Spärlich die Berichterstattung in eigener Sache – wie auf Ration gesetzt obendrein die Aufmerksamkeit für den Arbeitsplatz als der dritten Haut des Arbeitsplatzinhabers.

Amerikaimport und Westbindung

Dabei war das Rundschauhaus spektakulär genug, innerstädtisch eine Sensation, wahrscheinlich sogar überregional eine Attraktion – und ein Architekturimport, zumal in der unmittelbaren Umgebung des Eschenheimer Turms, den 1428 Dombaumeister Madern Gerthner errichtet hatte, ganz gewiss. Als ein solcher Import und Fremdkörper kam das Rundschauhaus räumlich und zeitlich von weither. Dem Rundschauhausarchitekten Wilhelm Berentzen wurde Jahrzehnte später nachgesagt, dass er sich mit der Fassade seines siebengeschossigen Bauwerks auf zwei Vorbilder berufen habe. Einerseits auf das 1803 von Salins de Montort errichtete klassizistische Palais für den Bankier Mühlens. Den beiden Flügeln des dreigeschossigen Bauwerks, mit seinem in den Winkel eingestellten, zylindrischen Baukörper, hatte dann im Jahre 1900 ein Bürgerverein nicht bloß ein Häubchen verpasst, was bereits dem klassizistischen Palais ein deutliches Frankfurter Höhenbekenntnis verlieh.

Plausibler die zweite Lesart – noch offenkundiger die Anschauung, die das Vorbild für Berentzen in den USA ausgemacht hatte. Wohl war das Mainhattan-Image noch längst nicht befestigt (dazu sollte es noch rund 15 Jahre brauchen), da führte Berentzen mit seinem Entwurf wahrhaftig den Amerikanismus in Frankfurt am Main ein. 1951 hatte Berentzen bereits das Juniorhaus am Kaiserplatz errichtet; nun folgte mit dem Rundschaugehäuse eine (von der Redaktion wohl nie so gesehene) Westbindung, indem der Architekt Anleihen beim “Schlesinger und Mayer Store” aus Chicago machte. Die “runde Ecke”, die fortan immer nur die runde Ecke heißen sollte, die ebenfalls ins Auge springende schlanke Stützkonstruktion, die breiten Fensterbrüstungen, das leicht auskragende Flachdach des Kopfbaus – das hatte bereits 1904 Louis H. Sullivan vorgemacht.

Berentzen, ein umsichtiger Makler der Wirtschaftswunder-Economy, der als Finanzier, Projektentwickler und Architekt gleichzeitig auftrat, ließ auf der Baustelle eine orthogonal gegliederte Fassade entstehen, rhythmisiert von schlanken Stahlstützen, Muschelkalksteinflächen und feinen Fensterprofilen aus eloxiertem Leichtmetall im Erdgeschoss. Das ist nicht so geblieben. Denn vor allem die Fensterprofile gingen in dem Maße, in dem das Gewicht der Zeitung im Laufe der Jahre politisch zunahm, in die Breite.

Gemessen an den Bauplätzen in unmittelbarer Nachbarschaft, auf denen 1952 das wabenartige Bayerhaus mit seinem Pultdach und, 1956, die bis zu siebzig Meter hohen Fernmeldebauten der Bundespost errichtet wurden, halten die alten Fotos auf dem Rundschaugrundstück einen ureigenen Nachkriegsschauplatz fest – einen wie aus einer bereits damals anderen Zeit, mit Dampfbagger und Schubkarre.

Historische Fotos lassen so etwas wie eine Vorkriegsbaustelle vermuten, auf der sicherlich kein Wunderwerk der Architekturmoderne entststand, aber ein Wahrzeichen einer moderaten Nachkriegsmoderne, von heute aus gesehen eine von drei, vier architektonischen Gedächtnisstützen der 50er Jahre im Zentrum Frankfurts, von denen mit dem Fernmeldehochhaus bereits die erste vor Monaten niedergelegt worden ist. Will sagen: Kein Pionierbau, wie Berentzens fabelhaftes Juniorhaus ist dessen Rundschauhaus gewesen, wohl aber, zusammen mit dem Fernmeldeturm, dem Bayerhaus, ein Beitrag zu einem Nachkriegszeitensemble.

In den nächsten zwei, drei Jahren wird rund um den Eschenheimer Turm ein innerstädtischer Erinnerungsraum flach fallen. Nicht alles in ihm war fein proportioniert, das ist gewiss. Und doch wird man sich an eine Sehenswürdigkeit erinnern, mit ihr zuallererst an die “runde Rundschauecke”, und sie hat denn stets ein Rundschaugeheimnis ausgemacht: Denn können Ecken rund sein?

Daneben gab es weitere Nichtselbstverständlichkeiten. Dazu zählte die Tatsache, dass die Seitenflügel des Gebäudes niedriger als der Kopfbau ausfielen, was, allein aus Gründen der Proportion, nicht aber unter Prestigeaspekten selbstverständlich ist. Und war es denn selbstverständlich, dass diese Flanken in einem leichtem Schwung verliefen? Was natürlich nie ein Geheimnis war, da dieser täglich in den langen, gebogenen Fluren ins Auge sprang. Denn dieser Bogen war ein Schwung, den der FR-Arbeitsplatz, wie die Redaktion wusste, über den Grundriss von der Straße her aufnahm.

Es hat im Laufe von fünfzig Jahren an das Haus, das immer auch eine erstklassige Immobilie gewesen ist, ein tatkräftiges Anstückeln und – gemessen an den von Berentzen vorgemachten Feinheiten und Proportionen – zupackendes Erweitern gegeben. Selbst an der Fassade, zwischen ihren Betonstützen und Natursteinbändern, ihrem abgestuften Rhythmus, gab es ein Sanieren, das gerade in der Erdgeschosszone nicht zimperlich war.

Paternoster und Rohrpost

Grau ist im Laufe von 50 Jahren manches geworden, der Beton, der Muschelkalk. Und doch sind noch einige Tage Zeit, um sich an Rundschauhausdetails zu erfreuen. Einem verbliebenen Fensterrahmen aus Messing, etwa in der bis zuletzt im 50er-Jahre-Ambiente unbeirrt verharrenden Eisdiele. Oder das Treppenhaus: Wenn da irgendwas bewahrt und heimlich verwahrt würde, ließe sich mit den stillen Werten bald schon das nicht allein symbolische Grundkapital für einen Retrobaumarkt aufbringen.Überhaupt das Treppenhaus. Nie hat es eine Schwindel machende Architektursensation dargestellt, wohl aber stets mehr als einen simplen transitorischen Raum – halt alles andere als einen dumpfen Arbeitsbeschaffungskorridor. Erinnern mag man sich an die eine oder andere Einzigartigkeit im Gebäudeinnern – und unter diesen Besonderheiten sicherlich an erster Stelle an den Paternoster, mit dem tiefbraunen Noppenboden in den alten, bis zuletzt wie geschmiert laufenden, setzkastenfarben gerahmten Kabinen. Erinnern wird man sich an den täglich unter die Füße genommen Teppichfilz oder die setzkastenfarbenen Fliesen in der Kantine. Und solange eine Rohrpost in sehr grauen Hülsen abging, die mit alarmroten Kappen versehen waren, tat sie dies mit einem Luftzug in den Wänden.

Leser! Frankfurter! Wenn es eines Tages zu so etwas wie einer Rundschauhaus-Denkschrift kommen sollte, dann wird kaum von einem Wunderwerk die Rede sein, wahrscheinlich von einem sehr, sehr sachlichen Arbeitsplatz, zu dem aber dann doch, neben vielem, zwei sehr, sehr schöne Details gehört haben, die “Rundschauecke” – immer wieder, nicht häufig genug. Und gleich dahinter das zugleich lichte wie naturtrüb, durch einen Kalkstein immerzu annähernd apfelschorlefarben eingeleuchtete Treppenhaus.