Hessen Mobil, Verkehr, Hessen, Straßenverkehr, Jürgen Schultheis

Aufruf zum Umdenken:
“Wir sollten anders mobil sein”

Ein Umdenken bei Planung und Bau von Straßenverkehrsinfrastruktur haben Tim Wallrabenstein und Daniel Eckardt (beide Hessen Mobil – Straßen- und Verkehrsmanagement) bei der Jahrestagung der Behörde Mitte April in Frankfurt am Main angekündigt. Hessen Mobil mit seinen rund 3000 Mitarbeitenden ist als Landesbehörde zuständig vor allem für Straßen- und Radwegebau.

Prof Dr. Kai Vöckler (Hochschule für Gestaltung Offenbach / Offenbach Institut für Mobilitätsdesign OIMD), Dr. Jutta Deffner (ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung) und ich hatten Gelegenheit, im Verlauf der Jahrestagung Impulse für die Mobilitätswende im Kopf und die Verkehrswende auf der Straße zu geben.

„Wir haben ein Verkehrsproblem und kein Mobilitätsproblem“, sagte Deffner. Die Verkehrsleistung der Pkw sei gewachsen, die Förderung aktiver Mobilität und der vernetzten Mobilität sei deshalb notwendig für die Verkehrswende. Voraussetzung sei eine Veränderung der Mobílitätskultur. Intensivere und bessere Kommunikation könnten zu einer Verhaltensänderung führen, aber auch mehr Partizipation und Wissensintegration.

Hessen Mobil, Verkehr, Frankfurt, Jürgen Schultheis
Die Diskussionsrunde (v.l.) mit Prof. Dr. Kai Vöckler, Offenbacher Institut für Mobilitätsdesign (OIMD), Dr. Jutta Deffner (ISOE), Moderator Jürgen Schultheis (House of Logistics and Mobility GmbH), Daniel Eckardt und Tim Wallrabenstein (beide Hessen Mobil).

„Wir wollen nicht auf den Pkw verzichten, wir sollten ihn nur anders nutzen“, sagte Vöckler. „Wir sollten anders mobil sein, und das muss attraktiver werden.“ Vöckler und sein Kollege Peter Eckart haben das Offenbacher Modell menschenbezogener Mobilitätsgestaltung ausgearbeitet: Der Nutzer wird in diesem Konzept vom Beförderungsfall zum Menschen emanzipiert, der Bedürfnisse wie Wohlbefinden, Sicherheit und Produktqualität hat. Mit Verfahren der Virtual Reality und der Kognitionspsychologie erforschen die Expert*innen am OIMD wie etwa Bahnhöfe gestaltet werden sollten, damit sich Menschen System des Öffentlichen Verkehrs wohler fühlen.

Ich hatte als Clustermanager Mobility im House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH Gelegenheit, auf die Bedeutung des Null-Emissions-Verkehrs hinzuweisen angesichts verfehlter Emissionsziele des Verkehrssektors in Deutschland und der zunehmenden Überschreitung planetarer Belastungsgrenzen. Hierzulande liegt die Durchschnittstemperatur inzwischen 1,8° C über dem vorindustriellen Niveau. Damit beeinträchtigen wir die Lebensbedingung künftiger Generationen. Unsere Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweise ist nicht nur unethisch, sie verletzt auch Grundrechte der Lebenden und der Ungeborenen.

In Deutschland entstehen pro Jahr rund 172 Mrd € externe Kosten des Verkehrs, wobei auf den Straßenverkehr mit 165 Mrd € der Löwenanteil entfällt. Deutschland hat in der EU die höchsten externen Kosten.

Mit jedem Liter Benzin und Diesel, den wir mit konventionellen Fahrzeugen bzw Motoren verbrennen, erzeugen wir knapp 2,4 bzw 2,6 kg CO2 – wobei die Hälfe dieser Menge in wenigen Jahrzehnten, die andere Hälfte erst in einem Zeitraum von bis zu 10.000 Jahren abgebaut wird. Wir belasten im schlimmsten Fall bis zu 300 Generationen mit dem klimaschädigenden CO2, das wir heute bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugen – sofern die CO2-Senken im planetaren System intakt bleiben.

Die ökologische Frage ist deshalb auch eine Frage der Überlebensbedingungen der Menschheit. Sie „thematisiert … im Kern eine systembedingte, legalisierte Verletzung von Grundrechten – dem Recht auf Leben und Unversehrtheit der Bürger“, argumentiert der Soziologe Ulrich Beck.

Hans Jonas, der mit seinem Buch “Prinzip Verantwortung – Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation” das akltuelle Standardwerk geschrieben hat, formliert u.a. drei Leitsätze zur Frage verantwortlichen Handelns:

 

  • Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.
  • Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftigen Möglichkeiten solchen Lebens
  • Gefährde nicht die Bedingungen für den indefiniten (dauerhaften) Fortbestand der Menschheit auf Erden

Auf dieser Grundlage kann Mobilitäts- und Verkehrspolitik nur dann verantwortbar sein, wenn mit möglichst geringstem Ressourcen- und Energieaufwand die Mobilität einer möglichst großen Zahl von Menschen sozialverträglich, emissions- und diskriminierungsfrei innerhalb der Belastungsgrenzen des geo-physikalischen Systems des Planeten Erde ermöglicht wird.

Die Optionen sind zahlreich, unsere Alltagsmobilität gerade in den Städten so zu gestalten, dass die Umweltwirkungen gerade des Autoverkehrs minimiert werden. Knapp die Hälfte aller bundesweit mit dem Pkw zurückgelegten Wege ist kürzer als fünf km, etwa ein Drittel aller Wege mit dem Pkw ist sogar kürzer als drei km – Strecken, die teilweise zu Fuß, mit dem (Elektro-)Fahrrad oder mit Bus und Bahn zurückgelegt werden können.

Bezogen auf die Streckenlänge sind die Umweltbelastungen des Autos mit Verbrennungsmotor erheblich: „In den ersten 300 Sekunden emittieren moderne Benziner mehr Luftschadstoffe als bei einer 1300 km langen Fahrt mit betriebswarmem Motor“, sagt Panayotis Dimopoulos Eggenschwiler von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). 300 Sekunden entsprechen bei einem Durchschnittstempo von 25 km/h etwa einer Strecke von zwei Kilometer.

Der Instrumentenkasten für die Verkehrswende ist jedenfalls reich bestückt. Länder und Kommunen können etwa

  • City/Regional-Maut
  • Parkraumbewirtschaftung
  • Preisgestaltung im ÖPNV
  • Stationsgebundener E-Scooter-Verleih
  • Siedlungsentwicklung
  • Schnellradwege
  • On-Demand-Verkehre
  • Expressbuss-System
  • Car- und Bikesharing
  • Mobilitätshubs

einführen bzw ausbauen.

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