Ethik der Mobilität 2017: Subventionen im Verkehr abbauen, defizitäre Flughäfen schließen, Bewusstsein schaffen über das Maß der Umweltbelastung im Verkehrssektor, Transparenz beim persönlichen CO2-Ausstoß und stärkere Regulierungen durch den Staat – diese Empfehlungen haben die Teilnehmer die 2. Diskussionsrunde „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“ am Vorabend des Deutschen Mobilitätskongresses im House of Logistics and Mobility (HOLM) gegeben. Angesichts des unvermindert hohen CO2-Aussstoßes im Verkehrssektor und den Folgen des Klimawandels forderten die Diskutanten, schneller und entschiedener zu reagieren. Hessens Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, Tarek Al-Wazir, sagte: „Das Richtige zu tun, ist das eine, dafür Mehrheiten zu erkämpfen und zu halten, das andere.“
Unter Leitung von Jürgen Schultheis, Senior Manager der HOLM GmbH, debattierten Werner Balsen (DVZ, Brüssel), Detlef Esslinger (Süddeutsche Zeitung), Martin Gropp (Frankfurter Allgemeine Zeitung) und Frank-Thomas Wenzel (Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau) in der Reihe „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“ die Frage, welcher Verkehr ethisch verantwortbar ist und wie der Wandel hin zu einem weniger umweltschädlichen Verkehr möglich ist.
Umweltschutz und Klimawandel werden nach Einschätzung von Werner Balsen (Bild) in der Verkehrsfachpresse kaum oder gar nicht thematisiert. „Das taucht bei uns und auch in der Konkurrenz nicht so massiv auf.“ Dabei werde auf europäischer Ebene die Umweltproblematik ernsthafter diskutiert als auf nationaler Ebene. Andererseits: „Die Brüsseler Politik setzt Ziele und sagt, wenn wir sie nicht erreichen, sieht es düster aus.“ Aber wie die Ziele erreicht werden sollen, „das bleibt weitgehend im Dunkeln“.
Zudem werde vieles, was die EU-Kommission vorschlage, durch den Ministerrat und das EU-Parlament auf „unerträgliche Weise weichgespült“. Balsen: „Wenn man sich anhört, wie dringlich die Probleme sind, dann ist diese Art der Weichspülung in hohem Maße bedenklich.“
„Kein Politiker wird aber irgendein Problem angehen, von dem er weiß, er findet dafür niemanden in der Wählerschaft oder er bringt die Wählerschaft gegen sich auf.“
Detlef Esslinger (Bild), Stellvertretender Leiter des Innenressorts der Süddeutschen Zeitung und nach eigenem Bekunden zuweilen auch gefühlter „Leiter des Unterressorts Publikumsbeschimpfung“, vermutet, dass wir es uns „doch sehr einfach machen, wenn wir glauben, wir könnten das Umweltproblem an Herr Al-Wazir und seine Zunft delegieren, und die haben das dann im Verein mit der Wissenschaft zu lösen“. Tatsächlich handele es sich um eine Herausforderung, „die wir alle miteinander angehen müssen. Kein Politiker wird aber irgendein Problem angehen, von dem er weiß, er findet dafür niemanden in der Wählerschaft oder er bringt die Wählerschaft gegen sich auf.“
Dass die Spannung zwischen angemessener Umweltpolitik, der Berichterstattung in den Medien und dem allgemeinem Bewusstsein durchaus groß sein kann, darauf wies Martin Gropp (Bild) (Frankfurter Allgemeine Zeitung) hin. „Dieselfahrer haben uns Journalisten ja vorgeworfen, egal für welche Zeitung wir arbeiten, wie es denn sein könne, dass wir den guten alten Diesel gegen die Wand fahren wollten. Die Leser haben uns dafür kritisiert, dass wir aus unserer Perspektive versucht haben, einigermaßen ausgewogen zu berichten.“ Gropp ist überzeugt, dass in der Verkehrspolitik etwas passieren müsse.
Und dass es unterschiedliche Auffassungen in den Generation zu diesem Thema gibt. „Ich habe nie ein Auto besessen, nutze Carsharing und das Fahrrad. Das Thema ist enorm vielschichtig, wenn es um Ethik geht. Da muss man bei sich selbst anfangen, sich überlegen, ob man auf einen Flug verzichtet, oder, wenn man fliegen muss, einen Ausgleich für die Emissionen zahlt. All das muss von den Einzelnen kommen. Politik, aber auch die Medien tun sich da schwer, etwas zu diktieren.“
Nach Einschätzung von Frank-Thomas Wenzel (Bild) (Berliner Zeitung / Frankfurter Rundschau) muss beides ineinandergreifen, eine andere Verkehrspolitik und die Verhaltensänderung der Menschen. „Wir müssen diese Dinge miteinander verschränken. Wir brauchen einerseits eine Art Masterplan Verkehr, aber wir müssen andererseits auch Angebote entwickeln, wenn wir den Verkehr in den Städten beschränken. Dafür brauchen wir ein vernünftiges Carsharing, das den Menschen Mobilität gewährleistet.“
Wenzel pflichtete Minister Tarek Al-Wazir bei, dass der Verkehr, wie er heute stattfindet, schwer zu verantworten sei. „Aber wir können das nicht mit einem großen Befreiungsschlag beenden. Deshalb lasst uns schauen, was wir machen können.“
An Wissen, wie es anders zu organisieren ist, mangele es nicht, sagte Detlef Esslinger. „Uns mangelt es an Umsetzungswillen.“ Bei der Frage der Verantwortbarkeit des Verkehrs stecken wir nach Einschätzung des SZ-Redakteurs in der Rationalitätenfalle, die erkläre, warum Menschen so handelten wie sie handeln. „Wenn ich den Vorteil eines Fluges von München nach Wien zu 100% genieße, dann mache ich das. Wenn ich aber sage, ich kann das aus Klimaschutzgründen nicht machen und fahre deshalb mit der Bahn, dann liegt mein Beitrag zum Klimaschutz vielleicht bei einem Milliardstel. Das ist der Grund, warum die Flugzeuge voll sind.“
„Es geht nicht ohne staatliche Regulierung. Ich glaube sogar, ohne Freiheitsbeschränkung kommen wir nicht klar.“
Aber welches Instrumentarium ist notwendig, um Verkehr im Blick auf den Klimawandel verantwortbar zu machen? Werner Balsen hatte Zweifel, ob es ausreicht, ein Anreizsystem aufzubauen, das zur Verhaltensänderung beiträgt. „Es geht nicht ohne staatliche Regulierung. Ich glaube sogar, ohne Freiheitsbeschränkung kommen wir nicht klar.“
Man könne Anreize setzen, sagte Balsen, etwa durch Steuervorteile. Aber er sei sich nicht sicher, ob der Bewusstseinswandel, der eingefordert wird, ohne Regulierung eintritt. „Ich habe das Rezept nicht bei der Hand, aber ich weise daraufhin, dass wir im Verkehr immer mit Freiheitsentzug gelebt haben. Nehmen Sie als Beispiel die Einführung des Sicherheitsgurtes. Was war das damals für ein Aufstand, als man den Leuten zugemutet hat, einen Sicherheitsgurt anzulegen. Die Politik sollte, trotz zugegebenermaßen schlechten Erfahrungen, energischer Grenzen setzen, weil es nicht anders geht.“
Selbstverantwortung allein wird auch nach Einschätzung von FAZ-Redakteur Martin Gropp nicht ausreichen. Natürlich müsse man versuchen, die Menschen zu mehr Selbstverantwortung anzuhalten, aber „es führt kein Weg daran vorbei, auch Eingriffe vorzunehmen. Jeder, der einmal zwischen 17 und 18 Uhr mit dem Fahrrad an den Staus in Frankfurt am Main vorbei gefahren ist, weiß das.“ Extra-Spuren für so genannte Multi-Person-Vehicles, wie in Kalifornien, oder die Möglichkeit, dass Elektroautos Busspuren nutzen dürfen, seien Optionen, um den Verkehr weniger klimaschädlich zu organisieren.
CO2-Budget für Personen und Unternehmen? Werner Balsen: „Ich bin dafür.“
Der Klimawandel, mitverursacht durch den Verkehr, sagte Moderator Jürgen Schultheis, befördere Ungerechtigkeit: Länder wie die Philippinen oder Inselstaaten wie Vanuatu oder Kiribati trügen kaum oder sehr wenig zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei, seien aber am stärksten betroffen durch starke Taifune und Hurrikane. Liege beispielsweise der CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr auf den Philippinen bei einer Tonne, betrage der Ausstoß in Katar immerhin 41 Tonnen pro Kopf und Jahr. Brauchen wir deshalb aus Gerechtigkeitsgründen ein CO2-Budget für Personen und Unternehmen, fragte Schultheis? Da gehen die Meinungen auseinander. Brüssel-Korrespondent Balsen sagt: „Ich bin dafür.“ Der Verkehrssektor sei der einzige Sektor der Wirtschaft, „in dem sich nichts tut. Der Verkehrssektor ist deutlich weniger staatlichen Regulierungsmaßnahmen unterworfen als andere Sektoren. Das liegt daran, dass das Auto hierzulande eine besondere Rolle spielt und die Autoindustrie eine besondere Macht hat.“
Weil die Logistik- und Mobilitätsbranche weniger behelligt werde von der Politik als andere Sektoren, „hat sie wenig Ahnung davon, was sie eigentlich anrichtet. Wenn diesen Unternehmen ein CO2-Budget vorgegeben wird, wüssten sie genauer, was sie anrichten.“
„Man kann den Menschen nicht immer Dinge oktroyieren. Wir müssen die Menschen Schritt für Schritt dazu bringen, über ihr Verhalten nachzudenken.“
FAZ-Redakteur Martin Gropp antwortete mit einem entschiedenen Jein. Wenn Brüssel für 2020 einen Flotten-Durchschnittswert von 95 g/CO2 pro Kilometer festlege, „dann haben wir ja schon ein Budget für die Autoindustrie. Das finde ich gut, und deshalb ein Ja. Es braucht diese Vorgaben, und ohne Vorgaben kommen wir in Teufels Küche, wie Herr Schmied vom Umweltbundesamt gesagt hat. Wenn Vertreter von Vanuatu oder den Philippinen hier wären, die würden lachen über unsere Diskussion. Bei denen geht es um die Lebensgrundlage.“ Gropp spricht aber auch ein Nein aus: „Man kann den Menschen nicht immer Dinge oktroyieren. Wir müssen die Menschen Schritt für Schritt dazu bringen, über ihr Verhalten nachzudenken.“
Detlef Esslinger ist skeptisch: „Bevor mir nicht einer erklärt, wie ich mein Budget messe, was passiert, wenn ich es überschritten haben und wer das kontrolliert und durchsetzt, bleibt das abstrakt. Wir brauchen eine Kombination aus Entscheidungen, die sanften Druck geben.“ Der Held des Jahres ist für SZ-Redakteur Esslinger der Stuttgarter Richter, der Kommunen die Möglichkeit eingeräumt hat, Fahrverbote für Diesel-Pkw zu verhängen. „Er schafft und verstärkt den Handlungsdruck.“
Frank-Thomas Wenzel spricht sich gegen ein CO2-Budget aus. „Ich glaube, dass wir andere Maßnahmen und Rahmensetzungen brauchen. Wenn wir das, was da ist, konsequent umsetzen würden, wäre schon einiges erreicht.“ Das gelte vor allem für die Subvention des Verkehrs im Wert von 28 Milliarden Euro. „Das ist schon recht skandalös, wie bestimmte Verkehrsformen einseitig gefördert werden.“
Wenzel: „Wir müssen endlich die Subventionierung von Regionalflughäfen einstellen, dann würde Flugverkehr realistischer abgebildet und marktkonformer sein.“ In Deutschland seien bestenfalls sechs Flughäfen profitabel. „Da werden unglaubliche Summen Steuergeld reingegeben. Aber wo landet dieses Geld? Es landet am Ende bei den Aktionären von Ryanair. Das ist ein völliger Irrsinn. Und das sind Punkte, da kann man was tun. Da ist die Politik über Jahrzehnte in die falsche Richtung marschiert.“
Verkehrsminister Tarek Al-Wazir„Ich fände es gut, wenn mehr Menschen ihren eigenen ökologischen Fußabdruck kennen würden.“
Martin Schmied (Bild), Abteilungsleiter „Verkehr, Lärm und räumliche Entwicklung“ im Umweltbundesamt, äußerte ebenfalls Zweifel. „Ich glaube, das wird nicht funktionieren.“ Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) geht laut Schmied davon aus, dass elf Milliarden Euro gebraucht werden, um einen ordentlichen ÖPNV in Deutschland sicherzustellen. „Wir müssen an das Angebot ran, und das können sie nie und nimmer finanzieren, wenn sie nicht auch an die umweltschädlichen Subventionen im Verkehr rangehen.“
„Ich fände es gut, wenn mehr Menschen ihren eigenen ökologischen Fußabdruck kennen würden“, sagte Minister Tarel Al-Wazir (Bild). „Da müssen wir uns überlegen, wie wir dazu beitragen können, dass mehr Menschen bewusst wird, was sie so in ihrem alltäglichen Leben machen und nachfolgenden Generationen hinterlassen oder nicht hinterlassen. Da kämen übrigens spannende Sachen raus.“
Es könne ja gut sein, dass der nordhessische Pensionär, der mit seinem alten Diesel einmal im Jahr an Nord- oder Ostsee fahre, mit seinem ökologischen Fußabdruck ziemlich viel besser sei als der Großstadt-Hipster, der nur im Bioladen kaufe, aber zweimal im Jahr nach Indien fliege.
„Wenn man mehr weiß über die Frage, was man selbst macht oder nicht macht, dann hat das ja durchaus lenkende Wirkung. Ich glaube aber nicht, und da bin ich dann zu praktisch, dass das mit dem CO2-Budget funktioniert. Wer soll das kontrollieren, wie soll man das umsetzen, und wer sagt einem, wann Schluss ist?“