Luftverkehrsabgabe – über begrenzte Horizonte und falsche Gewichtungen – Offener Brief an die Neue Zürcher Zeitung

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Enz,

mit Interesse lese ich Ihren Kommentar über die deutsche Luftverkehrsabgabe wie übrigens so manche anderen Beiträge auch in deutschen Medien.

Offen gestanden komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus, denn nach der allgemeinen Lesart sieht die Lage so aus: Ich zahle für ein Flugticket von Frankfurt nach Santa Cruz de la Palma rd 500 Euro zzgl Luftverkehrsabgabe von 7,50 Euro. Für ein Ticket von Frankfurt nach Melbourne muss ich rd 1400 Euro auf den Tisch legen zzgl 42 Euro Steuer.

Wir sprechen also von einer Belastung zwischen einem und drei Prozent.

Link zum Kommentar in der Neuen Zürcher Zeitung.

Wenn es also stimmt, wie Sie und Ihre Kollegen argumentieren, würden deutlich mehr Menschen die Ziele ansteuern, sobald die Steuer wegfällt. Sind Sie ernsthaft davon überzeugt, dass ein Kunde auf einen Flug auf die Kanaren verzichtet, weil er wegen der Luftverkehrsteuer 7,50 Euro mehr zahlt oder seinen Plan verwirft, nach Australien zu fliegen, weil der Flug steuerbedingt 42 Euro mehr kostet?

Ich möchte aus gegebenem Anlass eine andere Rechnung aufmachen: Um den CO2-Ausstoß pro Person für die genannten Ziele zu kompensieren, müssten Sie 30 bzw 230 Euro für die genannten Ziele zahlen.  Sie müsten ferner billigend in Kauf nehmen, dass Sie mit dem Flug auf die Kanaren in etwa so viel CO2 produzieren, wie ein durchschnittlicher Inder pro Jahr ausstößt. Mit fast 10 t Kohlendioxid pro Kopf pusten Sie auf Ihren Weg nach Australien das rd Sechsfache dessen in die Luft, was der geannte Inder im Jahr emittiert.

 

Ein zweiter Aspekt kommt hinzu: Der Flugverkehr ist subventioniert, weil in Deutschland keine Steuer auf Kerosin erhoben wird, und er ist dort doppelt subventioniert, wo Billigcarrier wie Ryanair mit ihren intolerablen Arbeitsdedingungen an Flugplätzen starten und landen, die zusätzlich von den Landesregierungen subventioniert werden. Davon, dass durch diesen irrsinnigen Preiskampf Airlines mit regulären Arbeitsverhältnisse in die Bredouille kommen, will ich gar nicht erst schreiben.

Ich komme zu meinen Punkt: Wenn wir die Klimaziele für 2050 erreichen wollen, müssen wir den Verkehrssektor nahezu emissionsfrei machen. Weil das im Flugverkehr nicht möglich sein wird, brauchen wir Kompensationsmöglichkeiten. Dieses unbestrittene Ziel ist seltsamerweise bei diesen nahezu ausschließlich betriebswirtschaftlichen Argumentation nie ein Aspekt in den aktuellen Kommentaren. Es wird schlichtweg ausgeblendet.

Eines aber steht m.E. außer Frage: Wenn der Welterschöpfungstag nicht in jedem Jahr früher “gefeiert” und die Zahl der Klimaflüchtlinge – manche nennen Sie ja Wirtschaftsflüchtlinge – nicht weiter steigen soll, brauchen wir eine Kehrtwende in unserem Lebensstil. Der westliche Lebensstil – sehen Sie mir die Binse nach – ist nicht universalisierbar. Wir müsssen deshalb in antiker Tradition wieder lernen, Maß zu halten und zu verzichten,

Dazu brauchen wir die Unterstützung auch der Medien. Weshalb ich mir wünsche, dass Sie und Ihre Kollegen beim nächsten Kommentar Blickwinkel und Perspektive etwas weiten und dem versuchen, was Hegel einmal so genannt hat: Das Wahre ist das Ganze.

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