Der Arbeitskreis „Ethik der Mobilität“ ist aus dem Veranstaltungsformat „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“ hervorgegangen, das seit 2015 am House of Logistics and Mobility (HOLM) in Frankfurt am Main als Jahreskonferenz des Clusters Mobility veranstaltet wird. Das Format ist als Diskussionsplattform angelegt, auf der RepräsentantInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft die Zukunft von Verkehr und Mobilität im Kontext korporativer und individueller Verantwortung diskutieren und Bewusstsein für die Herausforderungen schaffen.
Die Grundlage für die Debatte hat der deutsch-amerikanische Philosoph Hans Jonas mit seinem Hauptwerk „Prinzip Verantwortung, Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation“ (1979) geschaffen. Im Spätherbst 2020 hat der Arbeitskreis die erste Fassung des Positionspapiers „Enkeltaugliche Mobilität“ vorgelegt.
Titelbild: GLS Bank Blog
Um die Diskussion kontinuierlich zu führen und die Perspektive zu erweitern, haben Teilnehmende 2019 den Arbeitskreis „Ethik der Mobilität“ gegründet. Der Arbeitskreis baut auf den vorliegenden Studien und Konzepten zur Zukunft von Verkehr und Mobilität auf. Darüber hinaus stellt der Arbeitskreis die Debatte über Verkehr und Mobilität stärker in den Kontext planetarer Belastungsgrenzen und des Klimawandels und kritisiert vor diesem Hintergrund das bislang geltende Wachstumsparadigma.
Das jetzt vom Arbeitskreis „Ethik der Mobilität“ vorgelegte Positionspapier „Enkeltaugliche Mobilität“ fasst die zentralen Thesen zusammen und soll die Grundlage schaffen für eine Diskussion, die von RepräsentantInnen in Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft jenseits von Gruppeninteressen auch in Zukunft kontinuierlich und offen geführt werden soll.
Mit der Vorlage des Positionspapiers hat der Arbeitskreis im September 2020 entschieden, die Arbeit unter dem Dach des IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin weiter zu führen, um größtmögliche Unabhängigkeit und Sichtbarkeit zu schaffen.
Dem Arbeitskreis „Ethik der Mobilität“ gehören Prof. Dr.-Ing. Udo Becker, Verkehrsökologe an der TU Dresden, Prof. Dr. Michael Bongardt, Philosoph und Mitherausgeber der historisch-kritischen Gesamtausgabe des Werkes von Hans Jonas (Universität Siegen), Dirk Kannacher, Vorstand der GLS Bank (Bochum), Prof. Dr. Stephan Rammler, Direktor des IZT, und der Initiator und Moderator der Jahreskonferenz „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“, und Inhaber des Verkehrskontors FrankfurtRheinMain, Jürgen Schultheis, an.
In den nächsten Monaten wird der Arbeitskreis weitere Mitglieder berufen.
Zu Beginn der Diskussion „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten? „Ende September 2020 mit dem Schwerpunkt Aviation hat Prof. Dr. Udo Becker die Entwicklung und das Ziel des Positionspapiers erläutert. Ausgangspunkt für das Papier sei der Wunsch gewesen, ein Papier zu formulieren, dass handhabbar und praktikabel sein sollte für Menschen, die leitend bauen und planen und das beispielsweise in einer großen Verkehrsgesellschaft organisieren müssen. Wichtig sei gewesen zu betonen, dass es nicht um Einschränkungen der Mobilität gehe, dass Ängste abgebaut werden sollten und „dass es für jeden und jede auch in Zukunft möglich sein muss, ins Kino zu fahren, Einkäufe zu erledigen und die Tante zu besuchen“, sagte Becker.
Es gebe aber kein Menschenrecht, für den Weg in die Innenstadt den SUV oder den Hubschrauber zu nutzen. Diese Wege könne man auf verschiedene Weise zurücklegen. „Das Instrument Verkehr ist ja nur ein Hilfsmittel, und es macht rein ökonomisch doch Sinn, Verkehr mit weniger Kosten, mit weniger Emissionen, mit weniger Schäden zu organisieren.“
Ein zentraler Punkt für die Diskussion des Positionspapiers war der Budgetansatz des Wissenschaftlichen Beirates Globale Umweltveränderungen (WBGU) von 2009 gewesen. Die AutorInnen nennen für die CO2-Emissionen pro Kopf die Zielmarke von max. einer Tonne im Jahr 2050. Aktuell liegt der Wert pro Kopf und Jahr in Deutschland bei knapp acht Tonnen, weltweit bei 4,9 Tonnen.
Klimawandel sei eine Tatsache, sagte Becker, da könne man auf Bundesebene keinen Beschluss auf einem Parteitag herbeiführen und fordern, dass der Klimawandel verboten wird. Becker sieht nur zwei Möglichkeiten, mit dieser Herausforderung umzugehen: „Wir können uns daran anpassen und den sanften Weg wählen, oder wir geben Vollgas bei der Fahrt in die Sackgasse. Aus wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht bin ich für sanften Anpassungspfad.“ Dazu muss man laut Becker aber Bereitschaft bei den Menschen erzeugt werden, diesen Pfad zu gehen.
Die Reihe „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“ als Jahreskonferenz des Clusters Mobility am House of Logistics and Mobility (HOLM) hatte den Impuls für den Arbeitskreis gegeben, der Mitte 2019 zusammengekommen ist. Der Arbeitskreis hatte auf Einladung des Clusters Mobility mehrfach im HOLM getagt.
Die Jahreskonferenz „Ethik der Mobilität – wie viel Verkehr können wir noch verantworten?“ hatte „Vorbildwirkung für uns“, sagte Prof. Dr. Udo Becker, „und da sind wir auch dankbar, dass das Thema vom HOLM damals aufgegriffen worden und fortgeführt worden ist. HOLM hat das vorbildlich über die Jahre gemacht, Chapeau und danke von mir, dass diese Diskussion fortgeführt worden ist und wir die Möglichkeiten hatten, uns hier zusammenzusetzen.“
Der Arbeitskreis hat nach längerer Diskussion und aus mehreren Gründen entschieden, künftig die Arbeit am Institut für Zukunftsforschung und Technologiebewertung (IZT) in Berlin fortzusetzen. Zum einen, sagte Becker, stecke in der Frage ein Dilemma, wie viel Verkehr wir noch verantworten könnten.
„Können wir den Aufwand verantworten oder müssen wir sagen, das reicht?“ Das ist laut Becker eine Herausforderung für wachstumsorientierte Unternehmen. Wenn Unternehmen, wie sie im HOLM angesiedelt seien, solchen Wachstumszwängen unterlägen, weil sie im Markt nur so bestehen könnten, „dann muss man damit umgehen, das kann man nicht ignorieren. Es wäre blauäugig, diesen Konflikt nicht zu sehen, der entsteht, wenn sich einerseits ein CEO sich an Quartalszielen orientieren muss, und andererseits die langfristigen Erfordernisse der Tragfähigkeit dieses Planeten berücksichtigt werden müssen.“
Wachstum bedeute mehr CO2, und dass müssten Unternehmen manchmal machen, weil sonst die Konkurrenz die Nase vorn habe. „Aber das bedeutet auch mehr Klimawandel für Bangladesch und Samoa, wo die Menschen inzwischen nasse Füße bekommen. Diesen Druck, der aus dem Dilemma entsteht, wollten wir von einer Institution wie dem HOLM wegnehmen und den Stress reduzieren.“
Außerdem werden laut Becker „viele Rahmenbedingungen in Berlin gemacht“. Auch das sei ein Grund gewesen, den Arbeitskreis an das IZT zu verlegen.
Positionspapier „Enkeltaugliche Mobilität“ (Download)