Ein Gratis ÖPNV für Deutschland

Christian Grotemeier lehrt Mobilitätsmanagement und BWL an der Hochschule Rhein-Main. In einem Beitrag hat sich Grotemeier mit dem Thema „ÖPNV-Finanzierung und Klimaschutz verbinden: Ein neuer Finanzierungsansatz“ beschäftigt (Link). Bedenkenswert sind seine Vorschläge allemal, soweit ich das überhaupt in der Tiefe beurteilen kann, begrüßenswert in jedem Fall, da wir seit Jahren (Jahrzehnten?) bei diesem Thema auf der Stelle treten. Womit wir beim Thema sind: Eines der hausgemachten Probleme bei der Konstruktion des Finanzierungssystems für den ÖPNV ist das inkrementelle Vorgehen. Die schrittweise und mutmaßliche Verbesserung im Finanzierungssystem löst aber kein Problem und schafft für die politischen Akteur*innen innerhalb des Systems der Legislaturperioden bestenfalls eine zeitweise Entlastung. Inkrementelles Vorgehen hat deshalb nur eine geringe „Lösungstiefe“.

Prof. Dr. Christian Grotemeier

Das Finanzierungssystem, das wir vergeblich pflegen und immer wieder verbessern wollen, ist intransparent, kompliziert, ungerecht und in Teilen womöglich sogar verfassungswidrig ist, weil der Bund einen zu hohen Anteil in den ÖPNV-Topf zahlt, der doch im Wesentlichen von den Ländern zu füllen ist. Ich schlage deshalb den steuerfinanzierten ÖPNV bei gleichzeitiger Abschaffung der drei größten Verkehrssubventionen vor.

Ein „weiter so“ mit höheren Regionalisierungsmitteln für den ÖPNV wäre in der Tat eine einfache aber eher unrealistische Antwort, wie Christian Grotemeier schreibt. Allerdings springt der Mobilitätsfachmann mit seinen überlegenswerten Vorschlägen m.E. zu kurz, weil die „Lösungstiefe“ zu gering ist.

Das 49-Euro-Ticket, das nun keinen Preis mehr nennt und aus guten Gründen und etwas neutraler Deutschland-Ticket heißt, ist deshalb keine Lösung, weil es zwar 8% Neukunden gebracht hat, die vermutlich das Monatsbillet vor allem für ihren Freizeitverkehr nutzen, aber von Anbeginn unter dem Konstruktionsmakel einer aus dem Ufer laufenden Finanzierung gelitten hat. Zudem sind 49 € für die 17% der Bevölkerung in Deutschland, die nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von Armut bedroht sind oder in Armut leben, immer noch zu teuer.

Gratis ÖPNV nach Luxemburger Vorbild

Wir brauchen deshalb eine weitaus größere Lösungstiefe bei der Frage der Finanzierung des ÖPNV, die nur über eine Transformation hin zu einem neuen und gerechteren System gelingen kann, das an den Erfordernissen von Stadtentwicklung, Verkehrswende, sozialer Lage und Klimaschutzzielen orientiert ist. Ich plädiere für einen steuerfinanzierten ÖPNV nach Luxemburger Vorbild, der aber nur dann erfolgreich sein wird, wenn er zuvor die Infrastruktur ausbaut, um dem Zuwachs in Bussen und Bahnen mit einem Qualitätsangebot bewältigen zu können.

50% aller Subventionen in Deutschland fließen in den Verkehrssektor – genauer: in den straßengebundenen Verkehr. Wer Entfernungspauschale, Dieselvergünstigung und Dienstwagenprivileg über mehrere Jahre abbaut, spült mindestens 12 Milliarden Euro in die Kassen. Ein Betrag, der ausreicht, den ÖPNV bundesweit steuerfinanziert gratis anzubieten.

Die Lenkungswirkung wäre enorm, weil die Subvention des Pkw-Verkehrs deutlich reduziert und die Autofahrt damir teurer wird, während umgekehrt der Öffentliche Verkehr an Attraktivität gewönne. Zudem würde diese Transformation die Mobilitätsarmut drastisch verringern. Mobilitätsarmut bezeichnet nach Angaben des DLR „die unzureichende Verfügbarkeit oder hohen Kosten von Verkehrsangeboten, weite Wege und lange Fahrzeiten, ein schlechter Zugang zu ÖPNV-Haltestellen und allgemein eine schlechte Erreichbarkeit von Orten des täglichen Bedarfs.“

 

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Luxemburgs Vizepremierminister und Mobilitätsminister Francois Bausch: Er Luxdemburg zum ersten Land der Welt gemacht, in dem die Fahrt mit dem ÖPNV gratis ist.

Und ja, es geht auch im das verfügbare Einkommen und darum, wie viel ich von meinem Budget für Mobilitätsangebote ausgeben kann. Wenn eine Million Haushalt in deutschen Großstädten 50% ihres verfügbaren Einkommens für Miete ausgeben müssen, wird deutlich, wie tief auch ein 49 €-Ticket ins Budget einschneidet.

In Hessen fahren nur Landesbedienstete gratis im ÖPNV

Dabei gibt Beispiele für den Gratis-ÖPNV, die das zeigen, was schon immer gegolten hat. Wo ein politischer Wille ist, lässt sich manches bewegen, wie der Slogan „Hessen wird Vorreiter der Verkehrswende“ belegt: „Alle aktiven Beamtinnen, Beamten, Richterinnen, Richter, Tarifbeschäftigte und Auszubildenden des Landes Hessen können mit der Freifahrtberechtigung den öffentlichen Personennah- und Regionalverkehr kostenlos nutzen. Anders als das sogenannte Jobticket, das nur auf bestimmten Strecken sowie zu bestimmten Zeiten Geltung entfaltet, kann das LandesTicket Hessen zu jeder Tages- und Nachtzeit innerhalb ganz Hessen genutzt werden“, teilt der Arbeitgeber Land Hessen mit.

Die alleinerziehende Mutter oder die Kassierein im Discounter wird sich womöglich wundern, warum sie 49 € für das Monatsticket ausgeben muss, während der Richter und der Oberstudienrat die Angebote des Öffentlichen Nahverkehrs gratis erhalten. Dass die alleinerziehende Mutter und die Kassiererin den Gratis-ÖPNV für Beamte und Landesbedienstete über ihre Steuern mitfinanzieren, gibt der Konstruktion eine besondere soziale Note.

Deshalb: Lassen wir die inkrementelle Entwicklung hinter uns und wagen die Transformation mit allen ihren positiven Effekten.

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