Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 30. August 1991
Peter Weidhaas, Direktor der Frankfurter Buchmesse, spricht von einem „diffizilen Weg, den wir jetzt eingeschlagen haben“, und niemand, der die Entwicklung zwischen der Bundesrepublik und Iran seit dem Ende des Golf-Krieges verfolgt hat, wird ihm widersprechen mögen. Zweieinhalb Jahre nach dem Mordaufruf Ayatollah Khomeinys gegen den britischen Schriftsteller Salman Rushdie und dem Ausschluß iranischer Verlage von der Frankfurter Buchmesse werden im Oktober nun erstmals wieder Verlage des Golf-Anrainers ihr Programm auf der Frankfurter Veranstaltung vorstellen.
Gegenwärtig führt das Ausstellerverzeichnis dieser weltgrößten Buchmesse rund zehn iranische Verlagsunternehmen auf, von Amir Kabir Publications bis zu Zolal Publisher & Distributor. Die neue Öffnung soll laut Weidhaas „den Knoten lösen“, der das Verhältnis zwischen beiden Ländern bislang belastet habe. „Man kann ja nicht jahrelang so verbleiben“, begründet der Buchmessedirektor den Schritt, der „in den Entscheidungsgremien kontrovers diskutiert worden ist und wahrscheinlich auch auf der Messe diskutiert werden wird“.
Vor zwei Jahren, zur Eröffnung der 41. Buchmesse, hatte Weidhaas andere Akzente gesetzt: „Wir möchten, daß der Iran an der 42. Frankfurter Buchmesse wieder teilnimmt. Aber mit Festigkeit erkläre ich auch, er wird dies so lange nicht tun, wie diese Morddrohung nicht aus der Welt ist.“ Obgleich der Todesbefehl gegen Rushdie und jene, die mit der Produktion der Satanischen Verse wo auch immer beschäftigt waren und sind, nichts von Gefährlichkeit verloren hat – Anfang Juli wurde der japanische Übersetzer Hitoshi Igarashi ermordet – stellt der Messedirektor die demonstrative Festigkeit vom Oktober 1989 jetzt in Frage. „Es wäre sicher richtiger gewesen, den Iran zuzulassen und eine Diskussion über die Ereignisse zu führen.“
Peter Weidhaas: „Wir wollten uns eindeutig solidarisieren“
Schon damals habe er Bauchschmerzen wegen der Boykott-Entscheidung gehabt, sagt Weidaas. „Aber wir wollten uns eindeutig solidarisieren in einem Augenblick, wo Leute physisch angegriffen wurden oder befürchten mußten, angegriffen zu werden.“ Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet und bei den „Problemen, in denen wir uns befinden, wäre es natürlich praktischer gewesen, wir hätten es nicht in dieser extremen Form gemacht. Damals hätte man uns sicher ausgelacht, wenn wir den offiziellen Stand verboten und die iranischen Verlage zugelassen hätten.“
Bereits im Frühjahr hatte der Direktor der Frankfurter Buchmesse als Mitglied einer Delegation des Auswärtigen Amtes in Teheran die Weichen für die Wiederzulassung gestellt. Mehrfach hatte er versucht, staatliche Stellen im Iran zu einer Distanzierung von der Todesdrohung gegen Rushdie zu bewegen. Doch auch ein längeres Gespräch mit dem stellvertretenden Chef des Ministeriums für Kultur und religiöse Führung blieb ohne das gewünschte Ergebnis, „eine echte Distanzierung ist dabei nicht herausgekommen“.
Gleichwohl hatte er den Eindruck mitgenommen, daß die iranische Regierung den Weg pragmatischer Politik und der Öffnung gehen will, aber noch Rücksicht auf die fundamentalistische Opposition nehmen muß.
Die Buchmesse willigt ein, iranische Verlag zuzulassen
Vor diesem Hintergrund hat sich die Buchmesse im Frühjahr bereit erklärt, zwar iranische Verlage zuzulassen, einen offiziellen Stand, der vom iranischen Kulturministerium noch immer gefordert wird, aber weiterhin auszuschließen. „Wir werden sehr genau darauf achten, ob die iranischen Stände in einen Quasi-Nationalstand umgewidmet werden, denn das wäre eine eindeutige Vertragsverletzung“, betont Weidhaas.
Dass der Sinneswandel bei der Frankfurter Buchmesse auch aus den veränderten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Iran resultiert, wird von Weidhaas nicht bestritten. Seit sich die Vertreter der internationalen Wirtschaft in Iran die Klinke in die Hand geben, sind die ohnehin lauen Töne gegenüber dem ehemaligen Mullah-Regime noch moderater geworden.
„Daß für die deutsche Wirtschaft, die deutsche Diplomatie, die deutsche Regierung die Mordhetze gegen einen Schriftsteller, die Gewalt gegen Übersetzer, die Bedrohung von Verlegern und Buchhändlern auf der ganzen Welt nicht ins Gewicht fallen kann, wenn es um Milliardengeschäfte mit dem Iran geht, darüber wird sich kaum jemand wundern“, sagt Hans Magnus Enzensberger dazu in einer Stellungnahme für die Frankfurter Rundschau. Der Export sei die Staatsraison. Daß aber die Buchmesse 1991 iranische Verlage willkommen heiße, ohne daß von einem Widerruf des Mordbefehls die Rede wäre, „läßt nur den Schluß zu, daß die Messeleitung und der Börsenverein des deutschen Buchhandels ebenfalls der Ansicht sind, Umsatz gehe vor Meinungsfreiheit“.
Das gilt zweifelsohne für manche bundesdeutschen Unternehmen: Mitte September wird beispielsweise ein Konzern Iran in Düsseldorf die Möglichkeit der Präsentation geben, obgleich die Zahl der Hinrichtungen nach einem Bericht der UN in den ersten sieben Monaten dieses Jahres schon dreimal so hoch ist wie im Jahr.
Carola Stern: „Wer schweigt und nachgibt, wird mitschuldig“
Carola Stern, Vize-Präsidentin des deutschen PEN-Clubs, spricht im Zusammenhang mit der Entscheidung von Inkonsequenz: „Die Verfolgung wird in Gang gesetzt, Mordbefehle werden ausgegeben und jene, die das tun, bauen darauf, daß die, die lauthals protestieren, eines Tages vergessen werden und zur Tagesordnung übergehen.“ Diese Rechnung sei in diesem Fall aufgegangen. Die Morddrohung gegen Rushdie sei nicht zurückgenommen worden, „andere sind an seiner Statt ermordet worden.“
Nun gebe der Börsenverein kleinlaut nach und wolle „von seiner einstigen Festigkeit nichts mehr wissen“. Aber wie überall , wo es um die Verteidigung der Menschenrechte gehe, gelte auch hier, „wer schweigt und nachgibt, wird mitschuldig“.
Klipp und klar für das System des Boykotts“ spricht sich der Politikwissenschaftler Claus Leggewie aus. Leggewie, der in der neuen Ausgabe der Blätter für internationale Politik“ den Fall Rushdie und das Verhalten des Westens analysiert, fordert dazu auf, die Doppelstrategie Irans – die liberale Geste totalitärer Herrscher – und die „Offensive des Lächelns“ zum Ende zu bringen. Denn an der Situation im Land habe sich nichts geändert, „es gibt keinen Grund, jetzt auf der Ebene der Kultur nachzugeben“.
Klaus Wagenbach: „Es trifft die Falschen“
Darüber gehen die Meinungen freilich auseinander. Manche vertrauen auf die langsame Veränderung in Iran und teilen die Auffassung von Messedirektor Weidhaas. „Wir hätten den Boykott auf Dauer in Frage stellen müssen, denn es trifft die Falschen“, sagt Verleger Klaus Wagenbach. Die Buchmesse müsse ein Ort bleiben, wo jeder hin kann“. Es sei immer schwer, Verlage, die von Natur aus für die Verbreitung von Flaschenbotschaften und Widerspruch eingerichtet sind, haftbar zu machen für den Schwachsinn einiger religiöser Oberhäupter“.
Zustimmung findet die Entscheidung der Buchmesse auch bei Michael Naumann, Cheflektor des Rowohlt-Verlages. „Damals war es eine Strafe, heute, zwei Jahre später, ist die ist die Entscheidung richtig.“ Bislang, so Naumann, mußten die iranischen Verleger die Verantwortung dafür tragen, daß ein sterbender Imam ein Todesurteil ausgesprochen habe. Nun könnten die Verlage wieder ihre alte Aufgabe wahrnehmen und als „Transmissionsriemen zwischen Ost und West wirken“.