Fahrverbote für Dieselautos – Über den Irrsinn falscher Empörung und Bigotterie

Fahrverbote – die Empörung nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes ist groß. Aber Fahrverbote – temporär und örtlich begrenzt – treffen nicht einmal 0,6% aller deutschen Kommunen. Gravierender für den Kurs der deutschen Automobilindustrie ist die wachsende Zahl von Staaten, die ein Verkaufsverbot für Verbrenner ausgesprochen haben. Und China, der größte Automobilmarkt der Welt, lässt gerade prüfen, für welches Jahr ein Verkaufsverbot verhängt werden kann. Beobachter gehen davon aus, dass ein Verbot in den Zeitraum zwischen 2030 und 2040 fällt. Das Land der aufgehende Sonne nimmt sich ein Beispiel an Großbritannien und Frankreich. Temporäre und örtlich begrenzte Fahrverbote sind vor diesem Hintergrund eher Petitessen, die Aufregung lenkt vom eigentlichen Thema ab – dem absehbaren Ende des Verbrennungsmotors.

Absurder Weltanschauungskrieg“ (Rüdiger Soldt, FAZ), „Irrsinn“, Kniefall vor „populistischen Gruppierungen“ (Holger Appel, FAZ), „kalte Enteignung“ ( Oliver Luksic, FDP), der Ruin „der deutschen Vorzeigeindustrie“, ein „Schlag gegen Eigentum und Freiheit“ (Christian Lindner, FDP) – selten hat eine Nachricht derart rasende Empörung ausgelöst unter Journalisten, Verbandsvertretern und Politikern. Was ist passiert? Das Bundesverwaltungsgericht hat ermöglicht, dass dem Kind gelegentlich für ein paar Stunden oder Tage das liebste Spielzeug – das Auto – weggenommen werden kann. Nun sitzt es in der Ecke und schreit.

Merkwürdig an diesen Überreaktionen ist zweierlei: Die Entwicklung in den großen Automärkten geradezu vorsätzlich zu verkennen und ebenso vorsätzlich zu verleugnen, dass die Malaise von der Automobilindustrie herbeigeführt worden ist – durch gemeinschaftliche Verabredung zum Betrug, durch massenhafte Täuschung der Kunden und der kartellartigen Vereinbarung, keine größeren AdBlue-Tanks in Dieselfahrzeuge einzubauen – womit das Problem hätte sehr zufriedenstellend gelöst werden können.

Nun wird das verzogene Kind mit dem Realitätsprinzip konfrontiert, und der Lernprozess ist schmerzhaft. Dabei sind Fahrverbote in knapp 0,6% aller deutschen Kommunen nicht das Kernproblem, also jene Fahrverbote, wie sie vom Bundesverwaltungsgericht für zulässig erklärt worden sind und für Straßenzüge und Quartiere, in seltenen Fällen für ganze Städte möglich sind. Auch wenn ein zeitweises Verbot so manchen Pendler und vor allem den Öffentlichen Personennahverkehr vor große Herausforderungen stellen wird.

Winfried Hermann, Verkehrswende, Fahrverbote, Diesel, Bundesverwaltungsgericht, Elektromobilität, China, Jürgen Schultheis
Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann.

Fahrverbote, auch wenn es aus der Perspektive der Betroffen anders aussehen mag, sind in der Tat nicht das Kernproblem. Das Problem ist die Herausforderung für die mittelfristige Zukunft, die Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Bild) benannt hat. „Es geht um eine Verkehrswende in den Ballungsräumen: Mehr öffentlicher Verkehr. Mehr Umsteiger. Mehr Fahrradfahrer, mehr Fußgänger. Mehr gemeinschaftliches Nutzen von Fahrzeugen. Und möglichst in sauberen Fahrzeugen.“

Und er hätte auch hinzufügen können und sogar müssen: Die Zeit des Verbrennungsmotors läuft ab. Nicht weil plötzlich Grenzwerte ernst genommen würden oder manche Journalisten mit einem Male begriffen, dass Individualverkehr nicht ausschließlich mit einem Automobil möglich ist. Sondern weil inzwischen bekannt ist, wann Staaten den Verkauf von Pkw mit Verbrennungsmotoren nicht mehr erlauben werden. Was die hiesig und emsig Empörten und akut Erregten geflissentlich übersehen, übersehen wollen oder – im schlimmsten Fall – gar nicht sehen.

Prof. Dr. Stefan Bratzel, Center of Automotive Management (CAM), Fachhochschule für Wirtschaft, Bergisch-Gladbach.

In diesen Ländern ist bald Schluss, für Benziner und auch für die „saubersten Diesel“, die je gebaut worden sind: Großbritannien und Frankreich jeweils von 2040 an, Indien von 2030 an, Norwegen von 2025 an, Schottland von 2032 an und die Niederlande von 2030 an. Und Deutschland? Der Bundesrat hat die EU in seinem Beschluss (Drucksache 387/16) vom September 2016 (!) aufgefordert, „spätestem ab dem Jahr 2030 unionsweit nur noch emissionsfreie Pkw“ zuzulassen. Der Beschluss war ein Ergebnis der Debatte über die „Europäische Strategie für emissionsarme Mobilität“ der EU.  Ein Jahr zuvor war die Bundesregierung am Rande des Klimagipfels in Paris Anfang Dezember 2015 ganz diskret der Zero Emissions Vehicle Alliance (ZEV Alliance) beigetreten, verbunden mit der Verpflichtung, dass alle Fahrzeuge hier zu Lande bis 2050 emissionsfrei sein müssen.

„Der Diesel ist ein Kompetenz-Artefakt aus Deutschland.“
Prof. Dr. Stefan Bratzel, Center for Automotive Management (CAM), Fachhochschule der Wirtschaft, Bergisch Gladbach

Temporäre und örtlich stark begrenzte Fahrverbote für Diesel-Pkw in der erlebten Weise zu skandalisieren, wirkt angesichts der Entwicklung und im Blick auf das, was auf die deutsche Autoindustrie und ihre Beschäftigten zukommt, geradezu lächerlich.

In Bedeutung und Reichweite übertroffen wird all das durch eine Ankündigung des stellvertretenden chinesischen Ministers für Industrie und Informationstechnologie, Xin Guobin. Im vergangenen September hatte Guobon in Tianjin bekannt gegeben, dass China an einem Plan arbeite, um bestimmen zu können, wann die Produktion und der Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren verboten sein wird. Man nehme sich, wie es hieß, ein Beispiel an den Entscheidungen europäischer Staaten wie Großbritannien und Frankreich. Analysten und Beobachter wie Zhong Shi oder Qiu Kaijun gehen davon aus, dass der Zeitpunkt eines Verkaufsverbots für Verbrenner zwischen 2030 und 2040 liegen wird.

China ist der weltweit wichtigste Automarkt mit rund 20 Millionen Neuzulassungen pro Jahr, vor den USA (17,4 Mio Neuzulassungen) und Japan (4,2 Mio Neuzulassungen). Auf den Plätzen folgen Deutschland (3,2 Mio Neuzulassungen), Indien (2,8 Millionen Neuzulassungen) und Brasilien (2,5 Mio Neuzulassungen). Jedes zweite Elektroauto, das weltweit hergestellt wird, kaufen inzwischen Kunden in China.

Die Daumenschrauben für deutsche Verbrenner-Fans werden in China aber schon mit Beginn des nächsten Jahres angezogen: Von diesem Zeitpunkt müssen zehn Prozent der Pkw-Produktion Elektrofahrzeuge sein, 2020 steigt der verlangte Anteil auf zwölf Prozent. Die Regel gilt für Hersteller, die mehr als 30.000 Fahrzeuge pro Jahr produzieren. Bewertet wird nach einem Punktesystem: E-Fahrzeuge mit großer Reichweite bekommen mehr Punkte als Stromer mit geringer Reichweite, Hybridfahrzeuge schneiden in der Bewertung schlechter ab als reine Stromer. Wer den Anteil nicht erbringt, muss Strafen zahlen.

„Das ist das Tragischste und das Gefährlichste an der Geschichte: Die Menschen scheinen der Autoindustrie mittlerweile fast alles zuzutrauen.“
Prof. Dr. Stefan Bratzel, Center for Automotive Management (CAM), Fachhochschule der Wirtschaft, Bergisch Gladbach

Der massive Druck und die Vorgaben der chinesischen Regierung hätten hier zu Lande – von einer deutschen Regierung ausgesprochen – vermutlich zu lautesten Protesten und zu Klagen bis auf die Ebene des Bundesgerichtshofs und mutmaßlich des Bundesverfassungsgerichtes geführt. Vergeblich hatten auch große Automobilverbände (ohne den VDA) auf der globalen Ebene versucht zu intervenieren – am Ende vergebens. In der Diktatur müssen auch kapitalistische Konzerne dem Willen der Parteifunktionäre gehorchen, sofern sie ihren Anteil am Markt sichern wollen.

Mercedes-Werk in Tuscaloosa (USA). Bild: Mercedes Benz AG

Mercedes hat noch im gleichen Monat, als Vize-Minister Guobin die Studie über das Verbot von Verbrennern ankündigte, die Investitionen in die Elektroauto-Produktion erhöht. Rund 840 Millionen Euro sollen am Standort in Tuscaloosa (USA) investiert werden, VW will bis 2030 insgesamt 20 Milliarden Euro in die Entwicklung von E-Fahrzeugen investieren. Was nicht verwundern muss, wenn man weiß, dass die Wolfsburger rund 40% ihrer Neuwagen in China verkaufen. In beiden Konzernen sollen in den nächsten Jahren dutzende reine E-Fahrzeuge und Hybride entwickelt werden.

Kurzum: Die Entscheidung einer roten Diktatur hat weitaus mehr Einfluss auf Konzerne – nicht nur in Deutschland – als aller Klimaschutz und alle Verordnungen und Grenzwerte der EU zusammen.

„Die Politik muss klare eigene Visionen und Langfristziele entwickeln,. Und man muss diese Ziele benennen, in eindeutige Gesetze gießen und Regelverstöße mit klaren Sanktionen belegen.“
Prof. Dr. Stefan Bratzel, Center for Automotive Management (CAM), Fachhochschule der Wirtschaft, Bergisch Gladbach

Dass es soweit kommen musste und Pendler in Einzelfällen vor großen Problemen stehen, die sie nicht zu verantworten haben, liegt am fatalen Zusammenspiel von deutscher Autoindustrie, der Bundesregierung und ihren vornehmlich christsozialen Verkehrsministern und dem Kraftfahrtbundesamt. „Die Politik trägt eine Mitschuld an dem Desaster“, sagt Prof. Dr. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule für Wirtschaft in Bergisch-Gladbach. „Es gab eine Kultur des Wegschauens, nach dem Motto: Wird schon stimmen. Und also gab man sich zufrieden mit der Technologie und den Aussagen der Autofirmen.“

Stefan Roßkopf, CEO Teamtechnik Maschinen und Anlagen GmbH (Freiberg). Bild: Teamtechnik

Doch der von allen bundesdeutschen Kanzlern gewährte Schutz der Autoindustrie mit ihren rund 800.000 Beschäftigten, die falsche Sorge, dass Strafen bei permanenter Missachtung von Grenzwerten die Branche beschädigen könnten, war vermutlich ein Bärendienst. Denn der Schutz des Automobilsektors, den die Bundesregierung stets gewährte, hat die Manager zum Irrglauben verleitet, es ginge schon so weiter mit dem alten Verbrenner. Tatsächlich läuft die Autoindustrie Gefahr, beim Wandel hin zur Elektromobilität ihrer Technologieführerschaft zu verlieren. Was nicht nur die Automobilbranche beträfe.

Stefan Roßkopf (Bild), CEO der Teamtechnik Maschinen und Anlagen GmbH (Freiberg), redet deshalb Klartext: „Wir erleben derzeit ein Generalversagen von Wirtschaftspolitik und Autoindustrie.“ Seine Kritik richtet sich u.a. gegen den Unwillen der deutschen Hersteller, Batteriezellen für die E-Fahrzeuge zu produzieren. „Ich halte das für einen fatalen strategischen Fehler.“

Absurder Weltanschauungskrieg, Irrsinn, Kniefall vor populistischen Gruppierungen, kalte Enteignung, der Ruin der deutschen Vorzeigeindustrie und ein Schlag gegen Eigentum und Freiheit? So viel Blödsinn auf einmal liest und hört man selten. Es geht beileibe nicht um temporäre und örtlich beschränkte Fahrverbote, sondern um das absehbare Ende des Verbrenners und um die Gefahr, den Anschluss bei der Entwicklung von leistungsfähingen Elektroautos zu verlieren. Eine Zäsur, die mit dem Ende der Montanindustrie vergleichbar wäre, freilich mit dem Unterschied, dass die Zäsur sehr abrupt stattfinden würde.

Hätten diejenigen, die sich allzu schnell empören, beizeiten auf diese Risiken hingewiesen, den Verursachern des Betruges auf die Hände geschaut und jene in die Pflicht genommen, die nicht nur auf der Regierungsbank weggeschaut haben, die Debatte würde heute vermutlich in anderer Weise geführt. Warum hat die IG Metall diesen Betrug so einfach hingenommen und offenkundig akzeptiert, dass die Rechnung für solches Fehlverhalten und die Versäumnisse bei der Entwicklung der Elektromobilität am Ende schmerzhaft von den Belegschaften zu zahlen ist?

Und warum ist niemand auf die Idee gekommen, dass die Verpflichtungen aus dem Klimaschutzabkommen von Paris und die Zielvorgaben, wie sie im Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung festgehalten sind, nur dann einzuhalten sind, wenn der Verkehr in Deutschland praktisch emissionsfrei wird? Auch der „sauberste Diesel“ wird da keinen Beitrag leisten können.

Vielleicht hätte hier und da mal ein Blick in die Syntheseberichte des Weltklimarates IPCC geholfen oder in das Abschlussdokument des G7-Gipfels auf Schloss Elmau, in dem sich die großen Wirtschaftsmächte verpflichten, nicht nur den Verkehr, sondern die gesamte Wirtschaft zu dekarbonisieren?

All die Empörten und Erregten hätten auch sprechen und schreiben können über die immensen externen Kosten des Automobilverkehrs, wie er u.a durch den Verbrennungsmotor verursacht wird. Über die vorzeitigen Todesfälle als Folge des NO2-Aussstoßes von Dieselfahrzeugen, die dreimal größer sind als die Zahl der Verkehrstoten als Folge von Unfällen (rd. 3200 Personen). Von den politischen und gesellschaftlichen Folgekosten des Klimawandels und der Beeinträchtigung der Ökosystemleistung durch unsere „imperiale Lebensweise“, von den Emissionen fossiler Brennstoffe ganz schweigen.

Und es zeigt sich angesichts all der Empörung und Erregung: Fossiles Denken schadet mehr als fossile Brennstoffe.

Das ist der Irrsinn, das ist die Enteignung der Allmende der Weltbevölkerung durch den Raubbau an der Biosphäre, von der zu sprechen und über die zu empören wir allen Anlass hätten. Aber darüber schweigen die Empörten und Erregten in diesen Tagen. Dabei wäre vieles einfacher, wenn die Autos elektrisch führen, mit Strom aus regenerativen Quellen gespeist, ob nun batterie-elektrisch oder mit Brennstoffzellen ausgestattet, wenn Autos Teil eines vernetzten Mobilitätsangebotes wären, das für den Weg von A nach B das jeweils geeignetste Verkehrsmittel bereitstellt und die Digitalisierung uns die Mittel in die Hand, immer und überall über jedes Verkehrsangebot informiert zu sein.

Kurzum ein System, wie es derzeit in Graz mit dem tim-Projekt (täglich – intelligent – mobil) geradezu vorbildlich aufgebaut  wird.

About Jürgen Schultheis