Aktuelle Analysen von Edelmetallfunden und blauem Glas in einem 3500 Jahre alten Schiffswrack vor der Südküste der Türkei (Kap Uluburun) belegen nicht nur Handelsbeziehungen zwischen Ägypten und Skandinavien – sie geben auch einen Hinweis darauf, welche Bedeutung die lange Jahre beinahe vergessene Disziplin der Verkehrsgeschichte hat.
Verkehr umfasst im weitesten Sinne alle möglichen Formen sozialer Kontakte und ermöglicht so, Kultur zu konstitutieren. Im engeren Sinne bezeichnet Verkehr die Gesamtheit aller Vorgänge, die im Bereich der Wirtschaft der Raumüberwindung dienen, nämlich dem Transport von Personen, Gütern und Nachrichten in jeder Form zu Wasser, zu Lande und in der Luft (Andreas Predöhl). Verkehrsgeschichte vermittelt vor diesem Hintergrund nicht nur Kenntnisse über die Formen und Entwicklungen von Austauschbeziehungen – sie liefert auch einen Beitrag zur Entwicklung von Kultur, zum Austausch zwischen Kulturen und relativiert nicht zuletzt die Überhöhung der Gegenwart auf Kosten der Vergangenheit.
Ein Beispiel für diesen komplexen Zusammenhang gibt neben dem aktuellen Beispiel die Gründung von Massalia, dem heutigen Marseille: Auswanderer aus dem kleinasiatischen Phokäa hatten die Stadt um 600 v.Chr gegründet. Über Massalia handelten die Phokäer Olivenöl, Wein und Tischkeramik aus Süditalien und Sizilien (Magna Graeca) über die Rhone bis zu den Siedlungen und Stätten der Kelten. Umgekehrt verkauften die Kelten ihr Korn und andere Produkten den Massalioten.
Der Austausch beschleunigte die kulturelle Entwicklung der Kelten, die zunehmend sogenannte Oppida gründeten und sich von ländlich orientierten Kleinbauern zu Handwerkern in Städten entwickelten, die das Stadtmodell der Griechen (Polis) offenkundig für nachahmenswert hielten.
Es hat also gute Gründe gegeben, weshalb die Verkehrswissenschaft und mit ihr die Verkehrsgeschichte im Deutschland des 19. Jahrhunderts einen bemerkenswerten Aufschwung erlebt und beachtliche Ergebnisse hervorgebracht hat. Doch mit der sogenannten „Verwissenschaftlichung“ der Wirtschaftswissenschaft und ihrer Abkehr von Geschichte und Empirie hat die Verkehrswissenschaft und vor allem die Verkehrsgeschichte eine erhebliche Minderung ihrer Bedeutung erfahren, von der Fritz Voigt spricht.
In der Einleitung zum letzten großen Werk zum Thema „Verkehr“ im 20. Jahrhundert hat Fritz Voigt geschrieben: „Da Marktbeziehungen unabdingbar mit Transport- und Nachrichtenverbindungen verknüpft sind, beeinflusst die Ausgestaltung des Verkehrssystems die Entwicklungsfähigkeit einer Wirtschaft. In jeder Volkswirtschaft sin die Teilmärkte durch ein Verkehrssystem mit unterschiedlichen Qualitäten verbunden, so daß sämtliche ökonomischen Größen von Art und Güte der Raumüberwindung beeinflußt werden.“
Inzwischen wächst das Bewusstsein für die Bedeutung des Verkehrs wieder mit ihr hoffentlich auch die kulturelle Dimension des Austauschs. Dafür stehen heute Namen wie Hellmuth Trischler, Hans-Luidger Dienel und Hans-Jürgen Teuteberg. Dafür gibt es vor allem aber auch diesen einen Grund: „Die Förderung des Verkehrs und der allgemeinen horizontalen Mobilität war in den letzten zwei Jahrhunderten ein weitgehend positiv besetzter Bereich sozioökonomischen und politischen Handelns. Wachsender Verkehr wurde bis in die jüngste Vergangenheit als Befreiung von den Schranken der Natur, als Signum ökonomischer Prosperität, als Steigerung von Freiheit und Modernität verstanden und begrüßt. Diese Gleichsetzung von Mobilität und Modernität ist aber in der öffentlichen Meinung in eine Krise geraten.“ (Trischler/Dienel).
Weiterführende Links
Hans Holzhaider: Tausche Perlen gegen Bernstein, Süddeutsche Zeitung, 27. Jan. 2015 (siehe unten)
Inside Guide Turkey: Uluburun Antique Wreck , 3. Okt 2008
Ünsal Yalcin: Rückkehr nach Uluburun – Unterwasserarchäologie und die Handelswege in der Spätbronzezeit (Download)
Cemal Pulak: The Uluburun Shipwreck and Late Bronze Age Trade (Download)
Helmuth Tritschler/Hans Luidger Dienel: Geschichte der Zukunft des Verkehrs, München 1997