Verkehr innerhalb planetarer Belastungsgrenzen ermöglichen – dazu einen Beitrag zu leisten, ist das das Ziel, das ich mir mit dem Verkehrskontor FrankfurtRheinMain gesetzt habe. Nach meinem Abschied als Clustermanager Mobility der House of Logistics and Mobility (HOLM) GmbH in diesem Sommer möchte ich künftig umfassender und tiefgreifender Fragen des Klimawandels, der Energie und des Verkehrs transdisziplinär, sektorübergreifend und systemisch bearbeiten, kritisch aktuelle Themen diskutieren und die Ergebnisse allgemeinverständlich vermitteln.
Naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse werden in den Kontext geisteswissenschaftlicher Erkenntnisse gesetzt, technische Aspekte und soziale Herausforderungen der Mobilitäts- und Verkehrswende im Rahmen planetarer Belastungsgrenzen verhandelt. Das sind die Grundlagen, auf denen ich künftig als Berater für Kommunen und Institutionen, als Vortragender und als Moderator tätig bin.
Der eigene Garten wird bekanntlich mit größter Aufmerksamkeit und Fürsorge gepflegt – so wie jede/r Akteur*in den Fokus im Verkehrssektor auf die je eigene Tätigkeit, das Produkt oder die Disziplin richtet, in der er oder sie tätig und qualifiziert ist. Nur so lässt sich Kompetenz aufbauen und Reputation erlangen für das, was notwendig für die eigene Profession ist, um Wirksamkeit zu erzielen, Veränderungen einzuleiten und Erfolg zu haben.
Das Problem: Der eigene Garten ist eben nur ein kleiner Teil eines Bioms so wie der Verkehrssektor ein Subsystem in einer Vielzahl anderer, sich wechselseitig beeinflussender Subsysteme ist. Wer nur das einzelne Problem, die jeweils drängende Herausforderung bewältigen will, ohne das Zusammenspiel zahlreicher anderer Faktoren zu berücksichtigen, wird bestenfalls kurzfristigen Erfolg haben. Die Lösungstiefe auf der zeitlichen Schiene ist gering – die Debatte um die Finanzierung des Deutschlandtickets ist das jüngste Beispiel für diese Kurzsichtigkeit.
Verkehr und Interdisziplinarität –
ein Anspruch, der selten erfüllt wird
Es bedarf deshalb eines weit größeren Zusammenspiels aller Akteur*innen im Mobilitäts- und Verkehrssektor, als das bislang der Fall ist – auch wenn gerne und häufig von Kooperation und Interdisziplinarität die Rede ist, der Anspruch aber selten erfüllt wird. Alles ist Wechselwirkung (A. v. Humboldt), und das Wahre ist das Ganze (G. W. F. Hegel) – vielleicht gelten diese Fundamentalsätze aus dem frühen 19. Jahrhundert mehr denn je. Aber vergessen sind sie längst.
Grundsätzlich muss es im Sinne Klaus Michael Meyer-Abichs darum gehen, einen Weg zu finden, um Frieden mit der Natur zu schließen. Das ist die fundamentale Bedingung für unsere Fortbestand als Gattung, und aller anderen Herausforderungen sind nachrangig. Für den Verkehrssektor sieht Mayer-Abich das Ziel darin, dass „weniger herumgefahren wird und der erforderliche Verkehr die Natur nur möglichst wenig belastet“.
Auch das ist längst vergessen. Tatsächlich gibt es heute – trotz einer kaum überschaubaren Anzahl von Artikeln und Beiträgen zur so genannten Nachhaltigkeit – keine konsequente Ausrichtung in der Mobilitäts- und Verkehrspolitik auf ein System, in dem Verkehr als realisierte Mobilität auf Dauer verantwortbar ist für eine indefinite Zukunft, also im strengen Wortsinne auf Dauer Mobilität garantiert, die künftige Generationen in ihren Möglichkeiten nicht einschränkt.
Gelehrt und gedacht wird heute weit überwiegend in Kategorien, die primär die Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Verkehrsunternemen sicherstellen sollen – und nicht im Kontext planetarer Belastungsgrenzen. Wie überhaupt Verkehr bis heute überwiegend als eine technisch zu lösende Aufgabe verstanden wird, in der Ingenieure den Transport einer mehr oder minder großen Vielzahl von Beförderungsfällen bei stets knappen Ressourcen zu organisieren haben.
Von menschenzentrierter Mobilität ist erst seit kurzem die Rede, wobei es genauer heißen müsste – wieder die Rede, denn zahlreiche Publikationen etwa aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zeigen, dass wir in der Sache einmal weiter waren. Aber es gibt Hoffnung, wie die Gründung des OIMD zeigt.
Die Kollateralschäden dieses mechanistischen Verständnisses eines dynamischen, häufig nicht-linearen Prozesses, den wir Verkehr nennen, sind seit Jahren nicht mehr zu übersehen: Verkehr, so wie wir ihn verursachen, nämlich vor allem durch die Fahrt mit den eigenen Pkw oder der dritten Flugreise im Jahr, überlastet das geophysikalische System unseres Planeten. Zugleich steigen die ökologischen und volkswirtschaftlichen Kosten dieses, primär auf private Pkw-Nutzung ausgelegten Systems.
Mobilität im Kopf und Verkehr auf der Straße verändern
Transformation und Verkehrswende sind deshalb überfällig. Dafür brauchen wir ein anderes Verständnis dessen, war ich im Doppelpack gerne Mobilität im Kopf und Verkehr auf der Straße nenne. Künftig muss es m.E. darum gehen, das Thema weitaus stärker zu kontextualisieren und psychologischen, ästhetischen und soziologischen Faktoren eine ebenso große Bedeutung zuzumessen wie ökologischen, ökonomischen und – zuweilen überschätzten – technischen Faktoren, sofern die Verkehrswende erfolgreich sein soll.
Sie alle bilden das Wirkungsgefüge, für das wir angesichts der enormen Herausforderungen überzeugende Lösungen und Optionen bieten müssen, wenn wir ein verantwortbares Leben und Arbeiten auf einem Planeten ermöglichen wollen, auf dem jeder und jede ein Recht auf Unversehrtheit und Zukunft hat.
Grundsätzlich neu ausrichten müssen wir vor allem unser Denken, unser Verständnis der Welt, in der wir leben. Solange wir nicht begreifen, dass Natur mehr ist als eine ausbeutbare Ressource, solange wir unser zweckrationales Denken nicht überwinden, das die individuelle Nutzenmaximierung über das Bedürfnis der Allgemeinheit stellt, solange wird keine Einzelmaßnahme etwa im Verkehrssektor zum Ziel führen. Es gibt eine individuelle Verantwortung fürs Ganze, und auf Grundlage dieser Verantwortung müssen wir in einem Weltteil, der weit über seine Verhätnisse lebt, eben auch bereit sein, zum Wohle aller Verzicht zu leisten.
Der Verkehrssektor ist in diesem Zusammenhang in der besonderen Pflicht, weil er keinen Beitrag leistet, um verantwortbar zu sein: Immer mehr Autos, aktuell mit einem neuen Rekord bei den Zulassungen, immer neue Verkaufsrekorde, keine Minderungen des Durchschnittsverbrauchs aller zugelassenen Pkw, die Fahrzeuge werden immer schwerer und größer (SUV) und sind mit immer stärkeren Motoren ausgerüstet.
Der entscheidende Schritt: Von der Um-welt zur Mit-welt
Zugleich stagniert der Anteil der Menschen, die in Busse und Bahnen steigen. Erschwerend wird der motorisierte Individualverkehr mit einem niedrigen zweistelligen Milliardenbetrag subventioniert, während zugleich Geld für den Ausbau der Schieneninfrastruktur und zur Finanzierung eines günstigen Deutschlandtickets fehlt.
Kurzum: All das, was die Umweltwirkung des Verkehrs im weitesten Sinne mindern könnte, gerät immer mehr ins Hintertreffen gegenüber allen Formen individueller Mobilität. Der Grad der Unverantwortlichkeit steigt und mit ihm das Risiko, unsere Mit-welt – nicht Um-welt – irreparabel zu schädigen. Wir müssen deshalb intensiv daran arbeiten, wie ein Leben und Arbeiten innerhalb planetarer Belastungsgrenzen möglich ist.
Das Ziel: Mit möglichst geringstem Ressourcen- und Energieaufwand die Mobilität einer möglichst großen Zahl von Menschen emissionsfrei innerhalb der Belastungsgrenzen des geophysikalischen Systems des Planeten Erde so zu gestalten, dass der Zugang zum Verkehrssystem – räumlich wie sozial – für alle möglich ist.
Jürgen Schultheis, Verkehrskontor FrankfurtRheinMain
Die Rahmenbedingungen für ein Leben und Arbeiten innerhalb planetarer Belastungsgrenzen sind denkbar schlecht: Im Verkehrssektor hat der Roll-back begonnen, ausgelöst durch Lobbyinteressen und einer im Grundton zunehmend populistisch ausgerichteten Kommunikation von Teilen der Politik. Der Klimawandel gewinnt in erschreckendem Maße an Dynamik und erzeugt durch die ausgelösten Extremwetterereignisse weltweit jährliche Schäden im zweistelligen Milliardenbereich. Hinzu kommen wachsende soziale Spannungen, die die Transformation erschweren. Dabei hat die ökologische Frage höchste Relevanz, weil sie im Kern eine systembedingte, legalisierte Verletzung von Grundrechten thematisiert (Ulrich Beck), die vor allem die Ärmeren trifft und von der erhebliche Gefahren für Politik und Gesellschaft ausgehen.
Vor diesem Hintergrund arbeite ich mit dem Verkehrskontor als interdisziplinäres, sektor- und branchenübergreifend angelegtes Unternehmen, das gleichermaßen aus dem reichen Fundus der Geistes- wie der Naturwissenschaften schöpft, dem Wissenstransfer verpflichtet ist und die Kooperation aller Willigen fördern und unterstützen will.
Mein Leitsatz lautet: Mit möglichst geringstem Ressourcen- und Energieaufwand die Mobilität einer möglichst großen Zahl von Menschen emissionsfrei innerhalb der Belastungsgrenzen des geophysikalischen Systems des Planeten Erde so zu gestalten, dass der Zugang zum Verkehrssystem – räumlich wie sozial – für alle möglich ist.
Die in der Umweltkrise erforderliche Politik ist nur dann nicht viel zu schwer für die Politiker, wenn sie damit nicht allein gelassen werden.
Klaus Michael Meyer-Abich
Dazu gehört, falsche, interessengeleitete Visionen zu analysieren, die häufig mit dem Image der technologischen Innovation einen Fortschritt versprechen, der so nicht kommen wird oder der, wo er von einer mutmaßlichen Mehrheit befürwortet wird, mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Irre führt. Vor diesem Hintergrund berate ich künftig Kommunen, unterstütze Institutionen, halte Vorträge und moderiere Panels.