Die Vorschläge sind vielfältig, um den Öffentlichen Verkehr im Allgemeinen und On Demand Verkehre im Besonderen dauerhaft und frödermittel- und konjunkturunabhängig zu finanzieren. Angefangen mit einer Föderalismus-Reform, über die der Bund stärker für den Öffentlichen Verkehr in die Verantwortung genommen werden soll, über Arbeitgeber- oder Dienstgeberabgabe wie in Wien bis hin City-Maut und Kommunen, denen die Länder ermöglichen, mehr Geld für den ÖPNV zu schürfen. Da sind Vorschläge, die im Verlauf der vom Verkehrskontor organisierten Diskussion „On Demand Verkehre – wie finanzieren wir ein erfolgreiches Mobilitätsangebot?“ kürzlich im Offenbach Institut für Mobilitätsdesign (OIMD) gemacht worden sind.
Fotos: Andreas Arnold / Collage: Jürgen Schultheis
On Demand-Angebote zu machen, war bis 2021 von zeitlich befristeten Einzelgenehmigungen abhängig, die auf Grundlage von Experimentierklauseln gegeben worden sind. Als Linienbedarfsverkehre oder gebündelte Bedarfsverkehr sind On Demand-Angebote erst seit der Novellierung des Personenförderungsgesetzes im Jahr 2021 zulässig. Die Genehmigung des Angebotes unter einer Experimentierklausel war bis dahin auf zwei oder vier Jahre beschränkt, sagt Meinhard Zistel vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). On Demand-Angebote sind deshalb ein vergleichsweise neuer Mobilitätsservice in Deutschland.
Die bislang größte Zahl von Angeboten registrierte der VDV in den Jahren 2022/2023 mit etwas mehr als 100 Mobilitätsservices bundesweit. Viele Förderungen des Bundes für Linienbedarfsverkehre sind aber Ende 2024 ausgelaufen, etwa das Programm „Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme“ oder die Förderung von ÖPNV-Modellprojekten. Die Folge: Die Zahl der Angebote ist laut Zistel von einst mehr als 100 auf etwa 50 Mobilitätsservices geschrumpft.
On Demand-Verkehre werden in unterschiedlichen Räumen angeboten: in städtischen Randzonen als Auffangangebote, wenn zu bestimmten Zeiten kein Linienverkehr angeboten wird, oder als Service für die letzte Meile. In ländlichen Räumen gewährleisten On Demand oft die Grundversorgung.
Für die Regelfinanzierung des Angebotes ist der Bund laut Zistel nicht zuständig. Auf Landesebene finanziert der Bund ausschließlich über die Regionalisierungsmittel und die Gemeindeverkehrsfinanzierung. Der ÖPNV ist nach dem Gesetz Ländersache. „Die Herausforderung besteht darin, die Modellprojekte mit kommunalen Mitteln in die Regelfinanzierung zu überführen“, sagt Zistel. Zudem habe der Bund die Mittel für On Demand Projekte aus Gründen des Klimaschutzes und der Luftreinhaltung gewährt, nun aber ist eine Zeitenwende angebrochen, die Steuermittel sind knapp und fließen nicht mehr wie bislang.
Hinzu kommt: „Wir erleben eine Kostenexplosion im ÖPNV wegen gestiegener Energie- und Materialkosten, und die Kommunen sind klamm.“ Was ist angesichts der Lage wirtschaftlich besser, fragt Zistel: das flexible Angebot oder der Linienverkehr?
Wolfgang Inninger vom Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik betrachtet On Demand-Angebote als Teil intermodaler Mobilität. On Demand, eingebettet in den ÖPNV, macht den ÖPNV komfortabler und bringt ihn nach vorne, sagt Inninger. „Der Bedarfsverkehr hat aus meiner Sicht ein Riesenpotenzial im ländlichen Raum, um Zugang zum ÖPNV, um die Haltestelle vor die Haustüre zu bekommen und auf das Zweitauto verzichten zu können.“ Zumal in Bayern, wo es laut Inninger auf dem Land mit Ausnahme der Schülerverkehre kein ausreichendes ÖPNV-Angebot gibt und Pendler fast ausschließlich ins Auto steigen. „Viele Gebiete sind schlecht angeschlossen.“
Der Bedarf für On Demand-Angebote ist groß, sagt Inninger, vieles wird ausprobiert, aber Übergreifendes wird nicht auf den Weg gebracht. Es gebe kaum oder keine Zusammenarbeit, nicht nur zwischen Bundesländer, sondern oft auch keine Kooperation über Kreisgrenzen hinweg. Eine Ausnahme macht laut Inniger der Chiemgau mit Rosi, ein On Demand Angebot im Chiemgau, das im Mai 2022 den Betrieb aufgenommen hat. Fünf Fahrzeuge fahren in elf Gemeinden 619 Haltestellen in einem Gebiet an, das bis zur österreichischen Grenze reicht. Bei der Planung, sagt Inninger, sei sehr darauf geachtet worden, dass Rosi ein Erfolg wird.
„Das ging von Anfang an durch die Decke“, sagt der Abteilungsleiter des Fraunhofer Projektzentrums Verkehr, Mobilität und Umwelt; „die Nachfrage war größer als das Angebot.“
Als etabliert und erfolgreich, aber schwer zu finanzieren beschreibt Claudia Jäger, Direktorin des Regionalverbandes FrankfurtRheinMain, den Hopper, das On Demand Angebot im Kreis Offenbach. Ein Mobilitätsangebot, bezogen auf Größe und Zahl der Fahrgäste, „deutschlandweit ziemlich einmalig ist“. On Demand Angebote sind laut Jäger auch im Ballungsraum von Bedeutung, vor allem dort, wo sie den Linienverkehr, etwa Stadtbusse, in Tagesrandzeiten oder am Wochenende ersetzen können. Siebringen Jugendliche nach dem Discobesuch sicher nachhause, entlasten die Eltern und vermeiden, dass mit großen Gefäßen – vulgo: Busse – „heiße Luft durch die Gegend gefahren wird“.
Andreas Maatz, Geschäftsführer der Kreisverkehrsgesellschaft Offenbach (kvgOF), die den Hopper betreibt, nennt als Erfolgsrezept, von Anfang geklotzt und nicht gekleckert zu haben und ein nahezu 24/7-Angebot gemacht zu haben, „auf das sich die Menschen verlassen können“. Ein Viertel der Menschen, die den Hopper nutzen, haben kein Auto, sagt Maatz. Im Dezember 2024 haben laut Maatz rund 74.000 Fahrgäste das Angebot im Kreis Offenbach mit seinen 13 Kommunen genutzt. „Das waren 14.000 Fahrgäste mehr als im November, als wir wegen eines Software-Updates die Fahrt kostenlos angeboten haben.“
Der Hopper sei bekannt, werde rund um die Uhr genutzt, vormittags, weil die Menschen zum Arzt und Kinder zum Sport fahren müssen oder am Wochenende, wenn der Hopper rund um die Uhr verfügbar ist. „Die Nutzung ist vielfältig und bedient nicht nur die letzte Meile.“
Die jüngste Untersuchung des Software-Partners Via im November 2024 zeigt laut Maatz, dass die Kund*innen nur zehn Prozent aller Fahrten, die sie im Hopper gebucht haben, mit Bus und Bahn nicht hätten machen können. „Mehr als 90% aller Fahren, die Hopper gemacht werden, sind keine Gelegenheitsfahrten.“ Die Fahrten würden von Menschen gebucht werden, „die bestimmte Fahrtrelationen haben, die mit Bus und Bahn nicht abgedeckt werden können“.
Der Effekt: „Wir haben zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren einen echten Kundenzuwachs, eine messbare Veränderung im Modalsplit. Das ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht eingetreten.“
Der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) ist froh, dass die On Demand Angebote so gut angenommen werden, sagt Guenter Bertolini, Projektleiter On Demand Verkehre beim RMV. Unabhängig von Raum und Bedienkonzept würden die On Demand Angebote gut angenommen und super bewertet. „Die Kunden schätzen dieses System“ sagt Bertolini. Der Projektleiter betont, dass der RMV mit seinen Partnern das Angebot „für die gesamte Region“ entwickelt hat und weiter entwickeln wird.
Bertolini kündigt den Aufbau einer neuen gemeinsamen Plattform für den RMV an, um die On Demand Verkehre besser und effizienter steuern zu können. Dem Förderprojekt gehören zehn Partner, die eine On Demand Plattform ausgeschrieben haben.
Aber wie lässt sich ein erfolgreiches, bei den Kund*innen beliebtes und nachgefragtes Mobilitätsangebot auf Dauer fördermittel- und konjunkturunabhängig finanzieren? Für die Direktorin des Regionalverbands, Claudia Jäger, ist klar, dass Fahrgeldeinnahmen zur Finanzierung nicht reichen werden. Sie plädiert für mehr Steuermittel aus den öffentlichen Kassen von Bund, Land und Kommunen.
„Es muss ein Umdenken in der Bundes- und Landespolitik geben, was die ÖPNV-Finanzierung und was On Demand-Angebote angeht.“ Sei weise seit Jahren darauf hin, dass die Mittel für den On Demand Verkehr verstetigt werden müssten, „raus aus der Projektförderung und rein in die normale ÖPNV-Finanzierung. Anderswird es nicht funktionieren.“
Für Andreas Maatz ist der ÖPNV faktisch schon steuerfinanziert. Früher sei der Betrieb hälftig aus Fahrgeldeinnahmen und Steuermitteln finanziert worden, heute geht es „im Gebiet des RMV in Richtung 20% Fahrgeldeinnahmen und 80% Steuermitteln, mit denen der Betrieb unserer Busse und S-Bahnen finanziert werden“.
Beim Hopper werden die Kosten zwischen zehn und 15% aus Fahrgeldeinnahmen refinanziert. Aber: „Die Kostenschere zwischen Bus und Hopper geht langsam zu, weil der Hopper pro Kilometer immer günstiger wird, während die Kosten beim Bus in die Höhe gehen.“ Für 2025 ist der Betrieb des Hopper finanziert, sagt Maatz. „Was das nächste Jahr angeht, wissen wir noch nichts.“ Die Lage sei dramatisch.
In Wächtersbach ist mit Carlos ein On Demand Dienst in Betrieb, der vier Kommunen abdeckt und vor allem die Städte Wächtersbach und Bad Orb anbindet. Die Entwicklung bewertet Bürgermeister Andreas Weiher „absolut positiv, die Begeisterung ist groß“, 7500 Fahrten werden in der knapp 13.000 Einwohner großen Stadt im Monat gebucht.
Die Gesamtkosten für Carlos, die zu zehn Prozent aus dem Fahrbetrieb finanziert werden, beziffert Weiher mit 1,2 Millionen Euro. Und wie in anderen Kommunen ist die Förderung des Projekts Ende vergangenen Jahres ausgelaufen. Für dieses Jahr hat die Kreisverkehrsgesellschaft des Main-Kinzig-Kreises den Zuschuss erhöht, auch der RMV zahlt mehr in den Topf ein und das Land Hessen. Die Stadt Wächtersbach steuert 2025 noch 84.000 Euro bei.
Trotz der regelmäßigen Überbuchung ist der Betrieb wie in vielen anderen Kommunen in Deutschland gefährdet, weil das Angebot für den Mobilitätsdienst im ländlichen Raum nicht auf Dauer gesichert ist.
Wolfgang Inniger sieht „langfristig keinen anderen Weg als die Integration des On Demand-Angebotes in den ÖPNV“. Die Gemeinden hätten genügend Projekte gestemmt, On Demand Verkehre werden angenommen, „die Leute stellen sich darauf ein, und jetzt werden die Angebote eingestellt: Das ist ein fatales Signal.“
Es müsse im Interesse des Bundes sein, den Zugang zum ÖPNV über On Demand Angebote zu erleichtern, wenn der Bund die Mobilitätswende wolle.
Meinhard Zistel plädiert für eine größere Entscheidungsfreiheit für die Kommunen, weil mehr Geld von Bund, etwa über die Regionalisierungsmittel, nicht zu erwarten sei. „Der ÖPNV ist Ländersache, Nordrnhein-Westfalen und Sachsen geben den Kommune mehr Freiheiten, neue Finanzierungsquellen zu erschließen.“ Denkar für Zistsel ist eine Abgabe der Arbeitgeber für den ÖPNV wie in Frankreich, eine Dienstgeberabgabe wie in Wien oder eine City Maut wie in Stockholm.
Zistel: „Gebt den Kommunen die Instrumente in die Hand, um Geld zu schürfen, bei Autofahrern oder bei Arbeitgebern, um ÖPNV-Angebote finanzieren zu können.“ Die Grundfinanzierung für bessere Angebote und bessere Taktung des ÖPNV müssen von den Ländern kommen.
Der Fachbereichsleiter ÖPNV-Finanzierung beim VDV geht noch einen Schritt weiter. Bei der Föderalismus-Reform sei 2017 nicht richtig entschieden worden, der Bund hätte beim Thema Verkehr stärker in die Verantwortung genommen werden müssen. „Wir müssen den Bund stärker verfassungsrechtlich in die Pflicht nehmen.“
Anja Zeller vom VCD Hessen hatte zuvor an die aktuelle Verabschiedung des Landesmobilitätsgesetzes in Baden-Württemberg erinnert. Sie ermöglicht den Städten und Gemeinden, eine Mobilitätsabgabe zu erheben. „Wir brauchen das auch in Hessen, wenn die Mittel nicht mehr ausreichen.“
Die hessische Landtagsabgeordnete Katy Walther richtet den Blick auf mögliche Strafzahlungen an die EU, sofern die Klimaziele im Verkehrssektor nicht eingehalten werden. „Wenn´s schlecht läuft, könnten wir 2030 zwischen neun und 55 Milliarden Euro Strafe zahlen. Wir reden darüber, dass wir uns Ziele stecken, die wir aber nicht erreichen. Wenn ich aber die Klimaziele im Verkehrssektor erreichen will, dann muss ich den Verkehrssektor auch mit dem notwendigen Geld ausstatten.“
Claudia Jäger pflichtet dem bei und betont, dass die Bedeutung des Klimaschutzes und die Verpflichtungen, die wir eingegangen sind, unterschätzt werden. „Das Thema Kimaschutz müssen wir immer mit Verkehrswende und mit On Demand Verkehr zusammendenken, das hat auch eine sozialpolitische Komponente gerade für Alte und Kranke.“
Neben Vorschlägen, wie On Demand Verkehre wie generell der ÖPNV besser und dauerhafter finanziert werden können, gibt es auch Hinweis auf die Optimierung des Öffentlichen Verkehrs. Arno Brandscheid, Geschäftsführers bei der Rheingau-Taunus-Verkehrsgesellschaft (RTV), schlägt vor, Linienbus- und Bedarfsverkehr besser zu verknüpfen, um die Auslastung der Fahrzeuge zu erhöhen.
Ende des Jahres wird die RTV mit einem Experiment beginnen und den On Demand Verkehr mit dem Schülerverkehr kombinieren. Das gleiche Fahrzeug, dass nachts und am Wochenende als Rufbus angeboten wird, wird tagsüber im Schülerverkehr eingesetzt werden.
Oder Buslinien werden eingestellt, wie im Rodgau geschehen, und durch On Demand Angebot ersetzt, sagt RMV-Experte Bertolini. „Da beobachten wir eine spannende Transformation im ländlichen Raum.“
Jan Lüdtke ist Geschäftsführer beim Software-Anbieter Via in Deutschland und für die Märkte Deutschland, Österreich und Schweiz verantwortlich. On Demand Verkehre, so wie es jetzt gibt, müssen anders gedacht werden können, sagt Lüdtke. Sie müssen ins Netz des Öffentlichen Verkehrs „ tiefenintegriert werden, was bedeutet, dass wir das Netz komplett neu planen Nicht nur einzelne Linien, sondern auch gut ausgelastete Linien.“ Man könne auch die ausgelasteten Linien „noch besser machen, man kann sie begradigen und beschleunigen“.
Lüdtke will die Finanzierung aller Verkehrsarten in einem Topf werden, mit dem ein neu aufgebautes Verkehrsangebot finanziert werden könnte. Dann wäre der Betrieb eines funktionsfähigeren Netzes bei gleichen Kosten möglich, ohne auf größere Zuschüsse angewiesen zu sein.
Via ist seit Anfang des Jahres für fünf Jahre der exklusive Transporttechnikanbieter für RMV On-Demand-Angebote. Seit November 2023 managt das Unternehmen, das in den USA der zweitgrößte Anbieter in dieser Sparte ist, den größten Teil der On-Demand-Dienste im RMV-Gebiet, einschließlich des Fahrer- und Fahrzeugbetriebs. Mit mehr als zwei Millionen Fahrten ist RMV On-Demand einer der erfolgreichsten On-Demand-Dienste in Deutschland, heißt es bei Via.
Fraunhofer IML arbeitet nach Auskunft von Wolfgang Inniger an einem Benchmark-System, um die verschiedenen On Demand Angebote vergleichen und bewerten zu können. Das System soll dabei helfen zu beurteilen, was gut funktioniert und was weniger gut funktioniert. Es könnte Argumente für die Politik liefern: Was und wie werden On Demand Angebote genutzt, wie wichtig sind die Services als Zubringern für den regulären ÖPNV und wie wichtig sind sie als Baustein für die Verkehrswende.
Womöglich müssen die Akteur*innen im Öffentlichen Verkehrssektor angesichts der Herausforderungen und des Potenzials für Innovationen auch grundsätzlich über ihr Selbstverständnis nachdenken. Andreas Maatz: „Wir machen uns beim ÖPNV viel zu klein, machen uns zu Schmuddelkindern.“
Die Veranstaltung ist unterstützt worden vom Offenbach Institut für Mobilitätsdesign und vom Verein zur Förderung der Verkehrswissenschaften in der Region FrankfurtRheinMain (VFV).