Zahlreiche Berichte von KZ-Häftlingen belegen, unter welchen Bedingungen Zehntausende von Männern und Frauen auf der Buna-Baustelle der IG Farben in Auschwitz arbeiten mußten. Exekutionen und Schläge, schwere Verwundungen durch Arbeitsunfälle, Erschöpfungstod und sogenannte „Selektionen“ geschwächter Häftlinge – Synonym für den Abtransport in die Gaskammern von Auschwitz-Birkenau – waren beinahe alltäglich.
Nach den Plänen des Nazi-Regimes und der IG Farben sollte im Buna-Werk synthetischer Kautschuk für die Reifenherstellung produziert werden. Im April 1941 begannen Auschwitz-Häftlinge mit dem Bau der riesigen Anlage auf dem Gelände des Gutsbesitzes von Dwory, etwa sieben Kilometer vom Hauptlager Auschwitz I entfernt.
Der ehemalige Zwangsarbeiter Hájek aus Prag berichtet über die Anlage: „Der ganze Gebäudekomplex von Buna hatte die Form einer Ellipse. Eingeteilt war er in acht Längsstraßen, die mit den Buchstaben A bis H, und in acht Querstraßen, die mit den Zahlen 1 bis 8 bezeichnet waren.“
Weil die Häftlinge aus dem sieben Kilometer entfernten Hauptlager Auschwitz meist erschöpft auf der Baustelle ankamen und der Marsch zur Baustelle häufig durch Truppentransporte behindert wurde, entschied die IG Farben 1942, im Dorf Monowitz ein Außenlager zu errichten. Zwei Jahre später gehörten zum Komplex Auschwitz III insgesamt zehn Nebenlager, darunter Monowitz als das größte Außenlager.
Neben dem Hauptlager Auschwitz I baute die SS das Lager Auschwitz II (Birkenau) Mitte 1941 zum Vernichtungslager mit vier Krematorien und Gaskammern aus. Jene Häftlinge, die zu geschwächt waren, um die geforderte Arbeitsleistung zu erbringen, wurden in die Gaskammern geschickt.
Tibor Wohl, einer der Zwangsarbeiter, hat seine Erinnerungen an die Buna-Baustelle und das Lager Monowitz in einem Buch festgehalten (Arbeit macht tot, Fischer-Taschenbuch 10 392): „Für die Arbeit auf dem Buna-Gelände waren wir in mehr als 200 Kommandos unterteilt, die jeweils aus 20 bis 300 Häftlingen bestanden und von einem Kapo befehligt wurden.“
,,Wir schoben Loren und Schubkarren. Wir zitterten in Regen, Frost und Wind. Der Bauch war aufgedunsen, die Glieder dürr, das Gesicht am Morgen verschwollen und am Abend ausgehöhlt. Einige von unserem Transport BY bekamen graue Haut, andere gelbe; wenn wir uns ein paar Tage nicht gesehen hatten, erkannten wir uns kaum wieder.“
Über die Arbeit im Kabelkommando schreibt Wohl: „Je vier bis fünf Häftlinge mußten die Loren mit Erde vollschaufeln und sie bergauf schieben. Dazu gab es fast ununterbrochen Schläge von den SS-Männern und den Kapos, die die Arbeit für die IG Farben mit Stockhieben beschleunigen wollten. So blieb es nicht aus, daß fast täglich Häftlingen von den Loren Finger oder Zehen, oft sogar Hände und Füße abgefahren wurden. Die Verstümmelten wurden zwar in den Krankenbau eingeliefert, aber man sah sie nie wieder lebend herauskommen. (…) Viele von uns waren durch den Hunger und die Schläge so abgestumpft und gleichgültig, daß sie nicht einmal wegsprangen, wenn ihnen eine volle Lore entgegenbrauste. So wurden sie schwer verwundet oder sogar zerquetscht.“
Über die Baustelle und die IG-Farben-Ingenieure notiert er: „Es war ein Meisterwerk des Gigantismus mit streng geometrisch angeordneten Fabriken. Die IG-Farben-Ingenieure waren sicher große Fachleute, sie mußten doch bemerken, daß täglich viele Häftlinge auf den Baustellen getötet wurden: Wie war es möglich, daß sie nichts gegen das Morden unternahmen? Vielleicht wußten manche auch, daß in Birkenau Menschen vergast wurden: Wie konnten sie dabei noch ruhig schlafen? Waren die führenden Kräfte der IG Farben etwa dieselben Menschen wie die SS-Männer?“
Von den 1866 Menschen, die mit dem Transport BY nach Auschwitz kamen, überlebten 17 Personen.
Gregoire M. Afrine wurde am 30. Juni 1944 nach Monowitz verschleppt. Sie berichtet: ,,Die Häftlinge wurden morgens um 4 Uhr geweckt, sie bekamen eine Kruste Brot bis 4.30 Uhr, und danach war Appell von 4.30 Uhr bis 7 Uhr. (…) Es gab immer öffentliche Hängungen. Ich entsinne mich an durchschnittlich zwei bis drei Hängungen pro Woche. Die Vorwände waren nichtig.“ (Aus den Dokumenten des Nürnberger IG Farben-Prozesses, NI-7184).
Gustav Herzog war von Anfang bis Mitte Oktober 1942 in Monowitz inhaftiert. Seine Tätigkeit in der Häftlingsschreibstube hat dem Österreicher Einblick in die Maschinerie des Lagers gegeben: Auf Grund meiner Beobachtungen kann ich mein Urteil über die in Buna herrschenden Arbeitsverhältnisse folgendermaßen präzisieren: Es ist die hundertprozentige Schuld der IG-Leitung, daß unzählige Tausend nicht mehr einsatzfähiger Häftlinge vergast worden sind. Ich habe viele Ansprachen mir unbekannter Ingenieure und Leiter der IG an Häftlinge gehört, bei denen ausdrücklich gesagt wurde, daß man an Menschen, die nicht voll arbeiten können oder wollen, kein Interesse habe.“
Die Methode der IG Farben, nur voll Arbeitsfähige in Buna zu belassen, hat weitaus mehr Todesopfer gekostet als die individuellen Morde in anderen KZs. An dieser Generallinie kann auch nichts dadurch geändert werden, daß die IG an die bei ihr arbeitenden Häftlinge eine ,Werksuppe‘, d. h. warmes Wasser mit ein wenig Kraut oder Rüben, abgab, oder daß sie z. B. anordnete, daß die in ihren Büros arbeitenden Häftlinge öfters frische Wäsche und Seife erhalten müßten.“
,,Wenn in den Wintermonaten die Kälte besonders stark war, mußten erst Dutzende von Häftlinge erfroren umfallen und tot hereingebracht werden, bis sich die IG entschloß, die Arbeit für den betreffenden Tag einzustellen“ (Aus den Dokumenten des Nürnberger IG Farben-Prozesses, NI-12069).
Als am 16. Januar 1952 der ehemalige Monowitz-Zwangsarbeiter Norbert Wollheim vor dem Frankfurter Landgericht eine Klage gegen die IG Farben anstrengte, bekamen die Richter geradezu Unglaubliches zu hören. Henry Ormond, Rechts-Vertreter Wollheims, zitierte in seinem Plädoyer die IG-Mitarbeiter: Sie hätten die jüdischen KZ-Häftlinge zu wertvollen Arbeitskräften für das Werk machen, bei ihnen Freude an der Arbeit und am Erfolg wecken wollen. Angeblich seien nicht Zwang und Druck Grundlage des Arbeitssystems im IG-Werk Auschwitz gewesen, sondern Belohnung für Leistung und Erzeugung von Lust und Liebe zur Arbeit. Einer gar wagte es (…) dem Gericht vorzutragen, das Lager sei praktisch ein Erholungslager gewesen, das, so hieß es wörtlich, von den Häftlingen durchaus gern aufgesucht worden ist.
Die IG Farben mußte an Wollheim 10.000 Mark Schmerzensgeld zahlen.