Teil 6: Stundenlanges
Bangen um die Hilfslieferung

Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 8. Mai 1992

Im Cafe der Station an der Grenze zu Jugoslawien hat die Frau, die Reisende bewirten soll, an diesem trüben Montagmorgen wenig zu tun. Sechs Tische stehen im kahlen Raum. Klobige, dunkelrote Sessel, ausgebleicht vom Licht und wenig strapaziert, sollen den Gästen den Aufenthalt angenehm machen. An den pastellfarbenen Wänden, deren Farben leicht vergilbt sind, hängen ein paar Ölgemälde, die Menschen mit starr-demonstrativem Lächeln bei der sozialistischen Landarbeit zeigen.

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Warten auf den Lkw mit dem Gros der Hilfslieferungen an der Grenze zu Jugoslawien. In der Bildmitte Claudia Schäffer, rechts im Vordergrund Rrok Pepaj und sein jüngerer Bruder im Hintergrund. (Bild: J. Schultheis)

Die Frau hinterm Tresen schaut skeptisch, als wir frühmorgens in das Café kommen. Wir warten auf den Sattelschlepper, der schon am vergangenen Mittwoch vollgeladen das Anwesen der Pepajs in Großauheim Richtung Albanien verlassen hatte und über die CFSR, Ungarn, Serbien und Montenegro den Schlagbaum bei Hani Hotit passieren sollte. Um acht Uhr in der Frühe hatte der ungarische Fahrer mit seinem 38-Tonner ankommen sollen.

Jetzt ist es kurz nach neun Uhr und der Transporter ist noch nicht da. Wir sorgen uns ein wenig, obgleich allen bewußt ist, daß während der langen Reise Verzögerungen eintreten können, von denen wir in Nordalbanien nichts wissen können.

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Grenzübergang im Norden Albaniens an der jugoslawischen Grenze. (Bild: J. Schultheis)

Also warten wir und wärmen uns mit einem albanischen Cognac, das einzige Getränk, das uns die gelangweilte Frau im Café servieren kann. Außer ein paar Postkarten, die ein Hotel und ein Kriegerdenkmal in Shkoder zeigen, gibt es hier nichts zu kaufen.

Weil die Frage noch ungeklärt ist, wie die Hilfsgüter aus dem westlichen Main-Kinzig-Kreis verteilt werden sollen, machen wir uns eine Stunde später auf, um die Lage in der Region zu sondieren. Zunächst war geplant, die ganze Lkw-Ladung mit den beiden kleinen Mercedes-Transportern zu verteilen. Jede Familie sollte bedient werden. Die Idee wird schnell verworfen, weil die Gruppe dann Wochen gebraucht hätte, um die Güter zu verteilen.

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An der albanisch-jugoslawischen Grenze: Stella Pepaj und Rrok Pepaj (Bildmitte): (Bild: J. Schultheis)

Die Organisatoren überlegen, die gesamte Lieferung von etwa 800 Kleidersäcken und dutzenden Steigen Mehl, Öl, Zucker und Salz in einem Haus zu lagern, und die Bevölkerung von Hani Hotit dorthin zu rufen. Fran Pepaj, der hier geboren ist und nun zum zweiten Male in seine alte Heimat zurückkommt, will die Spenden in seinem Geburtshaus unterbringen. Das kleine, weiße Haus steht am Fuß einer Hügelkette, die ein Tal umschließt, das sich nach Osten zunehmend verjüngt und das im Westen vom Scutari-See begrenzt wird.

Auf einer schmalen Straße, die in der Mitte des Tales liegt,  fahren wir zum Haus, das keine fünf Kilometer von der Grenzstation entfernt ist. Als wir an der Abzweigung ankommen, die in Richtung Haus führen soll, erleben wir eine Überraschung: Der notdürftig befestigte Verbindungsweg, der noch im Winter zum Fuß des Hügels führte, ist nicht mehr da. Jetzt verbindet ein morastiger, weder für unsere beiden Kleintransporter noch für den schweren Sattelschlepper befahrbarer Weg die Straße mit dem Haus. Damit scheitert der Plan zunächst, die Hilfsgüter zentral zu lagern.

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Scutari-See. (Bild: J. Schultheis)

Ein glücklicher Zufall hilft uns aus der Klemme. Fran Pepaj trifft an diesem Montagvormittag einen alten Freund. Es ist Agim Cunmulaj, der ehemalige Baron von Hani Hotit. Cunmulaj, der jahrzehntelang im Lager inhaftiert war, besaß in der Region einen alten Landsitz, der noch bis vor wenigen Wochen der ehemaligen kommunistischen Partei Albaniens (PPSh) als Kaderschule diente. Gegen Mittag fahren wir wieder hinein ins Tal, wo etwa zwei Kilometer vom Geburtshaus Pepajs entfernt der zweistöckige, heruntergekommen Landsitz Cunmulajs  steht. Eine kurze Besichtigung des Hauses zeigt, daß das Anwesen durchaus geeignet ist, die Spenden für die Verteilung aufzunehmen.

Schon während der Besichtigung haben sich 30 bis 40 Männer eingefunden, die am Abend zuvor benachrichtigt worden waren, um den Sattelschlepper abzuladen. Als wir gegen 11.30 Uhr erneut zur Grenzstation zurückkehren, sehen wir den ungarischen 38-Tonner im Niemandsland zwischen Jugoslawien und Albanien. Etwa 200 Meter weiter weht noch die rot-weiß-blaue Fahne des alten Tito-Staates mit dem roten Stern in der Mitte, hier flattert die rote Fahne mit dem schwarzen Doppeladler. Der albanische Grenzbeamte, freundlich und aufgeschlossen, hebt den Schlagbaum und lässt den Transporter ins Land.

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Grenzübergang Jugoslawien – Albanien. (Bild: J. Schultheis)
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Der Lkw mit den Hilfsgütern passiert die Grenze nach Albanien. (Bild: J. Schultheis)

Die Freude über das Eintreffen des Lastwagens, die in der Gruppe aufkommt, ist nur von kurzer Dauer. Während wir im Café des Grenzgebäudes die Zollformalitäten abwarten, erhält Fran Pepaj den ersten Dämpfer. Obgleich ein Empfehlungsschreiben des albanischen Botschafters in Bonn und Erklärungen der beiden christlichen Kirchen in Hanau die Abfertigung erleichtern sollten, stellt sich der smarte Zöllner in seiner hellbraunen Uniform quer: Trotz aller Einsprüche beharrt er auf einer Einfuhrerlaubnis der städtischen Behörde von Shkoder. Ohne diesen Zettel, heißt es kategorisch, können die Hilfsgüter nicht eingeführt werden.

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Fran Pepaj bemüht sich in der Stadtverwaltung von Shkoder um die verlangte Einfuhrgenehmigung, damit der Lkw mit 38 t Hilfsgüter nach Albanien einreisen kann. (Bild: J. Schultheis)

Zum ersten Male ist die Hilfsaktion gefährdet. Von einem Engländer, den wir am Mittag im Tal von Hani Hotit bei einem katholischen Gottesdienst getroffen haben, erfahren wir, daß die Zöllner offenbar häufiger mit der Stadtbehörde in Shkodër zusammenarbeiten und die Lieferungen an Plätze dirigieren, wo sie spurlos verschwinden. Sechs Lkw-Ladungen, erzählt uns der Mann, seien bereits verschwunden. Offensichtlich bereichern diese Waren inzwischen den Schwarzmarkt.

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Die verantwortliche Beamtin in der Stadtverwaltung von Shkoder im Gespräch mit Fran Pepaj. (Bild: J. Schultheis)

Fran und Stella Pepaj machen sich am frühen Nachmittag ins 33 Kilometer entfernte Shkoder auf. Beide sind über die Hinterhältigkeit der Grenzbeamten ebenso verärgert wie der Rest der Gruppe. Während wir an der Grenze warten, treffen Pepajs kurz vor 15.30 Uhr bei der Stadtverwaltung ein. Das Haus ist nahezu verlassen, nur ein Wächter versieht seinen Dienst.  In den Büros machen Pepajs eine Sekretärin aus, die bereit ist, die entsprechenden Beamten anzurufen.

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Reger Betrieb in der Stadtverwaltung von Shkoder. (Bild: J. Schultheis)

Um das Verfahren zu beschleunigen, holt Fran Pepaj die drei Herren zuhause ab und fährt sie ins Büro. Dort wird geprüft, unterschrieben und gestempelt und schließlich halten die Gäste aus Deutschland die Erlaubnis in der Hand, die Hilfsgüter zollfrei einführen zu dürfen.

Am späten Nachmittag kehren Pepajs zur Grenzstation zurück. Mit unbewegter Miene nimmt der Zöllner, der hier schon zehn Jahre arbeitet, das amtliche Papier zur Kenntnis. Ein kurzer, desinteressierter Blick auf die Ladung und der 38-Tonner kann nach Albanien einfahren.

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Ein herzliches Willkommen im Haus der Pepajs im albanischen Bajze. (Bild: J. Schultheis)