Die Grenzpolizisten sind frühmorgens auf die griechische Valetta gekommen, die regelmäßig zwischen Brindisi, dem südalbanischen Sarandë und der Hafenstadt Igumenista in Griechenland verkehrt. Neun Stunden hat die Reise bei leichter See gedauert, jetzt liegt das Schiff in Sichtweite der südalbanischen Hafenstadt Sarandë. Drüben am Ufer dringt Licht aus den meist mehrstöckigen Häusern, vereinzelt steigt schon Rauch aus den Schornsteinen auf. Die alte Stadt, Zentrum des albanischen Tourismus und beliebtes Ziel für Hochzeitspaare, erwacht langsam.
Komplizierte Zollformalitäten bei Ankunft in Sarandë
Die Herren in den blauen Uniformen und den blau-roten Mützen, die noch immer vom roten Stern geschmückt werden, nehmen ihre Arbeit ernst: Drei Beamte residieren am Tisch im Eingangsraum der Fähre, während der vierte eher gelangweilt versucht, Ordnung in ein Verfahren zu bringen, dessen Spielregeln auch nach längerer Beobachtung nicht zu erkennen sind. Drei Dutzend Menschen, überwiegend Albaner, wollen ihre Papiere abholen, die sie am Abend zuvor bei Ankunft an Bord bei einem freundlichen und bestimmten Mann aus Griechenland hatten abgeben müssen. Jetzt sollen die Visa geprüft und die Pässe zurückgegeben werden.
Im Durcheinander der Stimmen geben die Beamten kurze Anweisungen an die Passagiere. Die Männer blicken ernst und können doch nur unvollkommen ihre Ratlosigkeit bei der Prüfung unserer Visa verbergen, die der albanische Botschafter in Bonn kostenlos ausgestellt hat. Weil solche Hilfsbereitschaft in der Dienstanweisung nicht vorgesehen ist, haben wir ein Problem.
Was der Gesandte Tiranas in Deutschland noch als freundliche Geste verstanden wissen wollte, stößt hier auf Ablehnung. Die Sprachkenntnisse Fran Pepajs erleichtern die Verhandlungen mit den Herren, die ihre Unsicherheit mit einem gespielt lässigen Umgang mit den Pässen demonstrieren wollen. Schließlich zeigen die Beamten ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Und das sieht so aus: Der Beamte links reicht die beiden Visa seinem Kollegen zur Rechten. Der schaut prüfend auf das Papier mit den Paßfotos und reicht sie dem dritten am Tisch, der die DIN-A 5-Blätter zusammen mit den Reisepässen stapelt. Dann tauschen die Beamten die Dokumente nach kurzer Absprache noch einmal aus.
Unterdessen fragen zwei Männer vom Zoll nach Waren, die in das ehedem orthodox-kommunistische Land eingeführt werden sollen. Der ältere von beiden, ein eloquenter, westlich-salopp gekleideter Mann Ende 40, fragt zunächst vorsichtig, dann deutlich und mit sanfter Nachdrücklichkeit nach Kleidern und Schuhen.
Ratlosigkeit beim Blick auf die Visa der Deutschen
Der Zöllner heißt Vangjel Xhani. Er gibt uns indirekt zu verstehen, daß sich die Formalitäten bei der Einreise womöglich komplizieren könnten, falls wir auf seine Wünsche nicht eingehen sollten. Bald darauf gehen er er und sein jüngerer Kollege mit Fran Pepaj und Gerd Schäffer in den Laderaum der Fähre, um der geschickt formulierten „Bitte“ des Mannes nachzukommen. Ein paar Sachen verschwinden in einem blauen Plastiksack, und der Endvierziger ist zufrieden.
„Wir tragen unsere Nasen im Moment nicht sehr hoch“, sagt er, und dabei gelingt ihm ein sarkastisches Lächeln. Daß seine Landsleute Hilfe brauchen, daran läßt er keinen Zweifel. Daß er vor allem auf Unterstützung für sich und die Seinen drängt, haben wir zu spüren bekommen.
Sympathie für das alte orthodox-kommunistische Regime
Die Zukunft des Landes sieht Xhani wenig optimistisch. „Vor dem Umbruch in Albanien ging es uns ganz gut“, räsoniert der Zöllner und macht deutlich, daß er nach dem deutlichen Sieg der Demokratischen Partei in Albanien bei den ersten freien Wahlen 1991 nun auf der Seite der Verlierer steht. Wer für den dramatischen Niedergang des Landes nach seiner Einschätzung verantwortlich ist, läßt er unausgesprochen, aber dennoch spüren wir die Sympathie für die alte Nomenklatura.
Während des Gesprächs im Laderaum der Valletta steuert das Schiff langsam den Anlegeplatz an. Vorne öffnet sich die Laderampe und die ersten Wagen verlassen kurz vor 7.30 Uhr den Bauch der Fähre. Von zwei, drei Lastwagen abgesehen, fahren die albanischen Passagiere Personenwagen jeglichen Zustandes an Land. Häufig fehlen die Nummernschilder, manchmal die Scheinwerfer. Aber das stört hier niemanden. Die Autos werden offenbar erwartet.
Sarandë als Umschlagplatz für gebrauchte Pkw
Keine Viertelstunde nachdem das Schiff festgemacht hat, scharen sich im Zollgebiet des Hafens Dutzende Männer um die Karossen, die nun auf ihre Funktionsfähigkeit hin überprüft werden. Doch weit gefährlicher als der technische Zustand der Wagen ist die Unbekümmertheit der Fahrer, die zuweilen in lebensbedrohende Rücksichtslosigkeit umschlägt.
Vorhin noch hatte ein Mann beim Verlassen der Fähre kurz die Kontrolle über seinen Wagen verloren und wäre beinahe in eine Menschengruppe gefahren. Jetzt steht der mit seinem importierten Statussymbol Marke Opel im Hafen von Sarandë und versucht, das Auto für teure Lekë, der Landeswährung, oder amerikanische Dollar zu verkaufen. Die meisten Wagen bringen Kosovo-Albaner, die in der Schweiz leben und arbeiten, in ihr Heimatland. Mindestens jeden dritten Wagen, den wir während der Fahrt durch Albanien sehen, schmückt das Schweizer Nationalitätszeichen „CH“.
Im Zollbereich des Hafens bekommen wir unverhofft neue Probleme. Plötzlich ist Vangjel Xhani mit einem anderen Mann zur Stelle. Er will uns helfen, sagt er und hat anderes dabei im Sinn, wie wir zwei Tage später erfahren. Nach einigen Gesprächen zeichnet sich eine Lösung der vertrackten Lage ab. Die Dollarnote, die dabei über den Kühler des Mercedes-Transporters gereicht wird, steht zwar in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verfahren, beschleunigt die Formalitäten jedoch erheblich. Daß der junge Xhani-Helfer das offenbar notwendige Formular auf der falschen Seite ausfüllt, gibt der Szene eine seltsame Komik. Dann ist der Weg erst einmal frei.
Wir fahren den kleinen Weg hinauf zum Gitter, wo uns albanische Soldaten das Tor öffnen. Hinter der Absperrung erwartet uns die albanische Gegenwart.