Robert Sterl zählt im Osten Deutschlands zu den führenden Vertretern des deutschen Impressionismus. Wo immer von der Kunstrichtung die Rede ist, steht der bei Dresden geborene Maler gleich neben Max Liebermann und Lovis Corinth. Sterls Dirigentenbilder gelten heute immer noch als Höhepunkte der Malerei im Festhalten musikalischer Augenblicke. Seinen Blick für Landschaft und Menschen hat Sterl im Wächtersbacher Stadtteil Wittgenborn geschult. Zwischen 1892 und 1908 hat sich der Künstler fast jedes Jahr über mehrere Monate im Töpferdorf auf der Spielberger Platte aufgehalten. Ein Brief eines Kunstfreundes aus der DDR an den Magistrat hat die Stadt Wächtersbach auf die Geschichte aufmerksam gemacht. Im September 1990 habe ich deshalb das Sterl-Haus in Naundorf besucht und mit der damaligen Leiterin des Hauses, Dr. Natalia Kardinar, über Sterl und seine Zeit in Wittgenborn gesprochen.
Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 20. Oktober 1990
Wer sich von Dresden über die Fernstraße 172 nach Pirna aufmacht und die Hauptverkehrsroute nach einer scharfen Rechtskurve in Richtung Osten verläßt, gelangt nach Struppen und schließlich ins einige Kilometer entfernte Naundorf. Von dort führt ein schmaler, von Baumstümpfen gesäumter Weg hinab nach Wehlen, wo die Elbe aus dem Sandsteingebirge der Sächsischen Schweiz heraus in die Dresdner Ebene drängt.
Hinter dem Ortsschild verjüngt sich der Weg, der jetzt Naundorfer Straße heißt, zu einem schmalen Pfad. In einer Rechtskurve macht ein leuchtend-weißes Gartentürchen auf ein hochgiebeliges Haus aufmerksam, das im Schatten einer mächtigen Linde steht. Geschützt von hohen Büschen beherrscht das Gebäude mit der Nummer 99 ein bewaldetes Anwesen von knapp einem Hektar Größe. In der stimmungsvollen Ruhe dieses Fleckens, abseits urbaner Betriebsamkeit, hat der Dresdner Impressionist Robert Sterl von 1919 an bis zu seinem Tod im Januar 1932 gewohnt und gearbeitet.
Sterls Name gilt viel im Gebiet der ehemaligen DDR. Der Maler, Lithograph und Radierer zählt in der deutschen Kunstgeschichte „nicht nur neben Max Liebermann, Max Slevogt und Louis Corinth zu den bekanntesten Impressionisten“, lobt Waltraud Schumann 1967 zum 100. Geburtstag den Künstler in den Dresdner Kunstblättern. Sein Werk werde vor allem als „wesentlicher Beitrag zu dieser Kunst gewertet“.
Robert Sterl: Einer der großen deutschen Impressionisten
Max Liebermann nennt den 1867 in Groß-Doberitz bei Dresden geborenen Sohn eines Steinmetzes aus Anlaß einer Ausstellung Sterlscher Werke „einen wahrhaften Künstler, der malt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“. Fritz Löffler reiht Sterl 1954 in einem Aufsatz für das Jahrbuch zur Pflege der Künste „in die Linie der großen deutschen Impressionisten“ ein.
Wo Sterl auch immer wirkt: Wer dem Maler und Lithographen auf seinem Lebensweg folgt, unternimmt eine aufschlußreiche Reise durch die Kulturgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts, trifft Alexander Skrjabin und Sergej Rachmaninoff, mit dem Sterl eng befreundet war, begegnet der Familie Mendelssohn-Bartholdy, Frank Wedekind und Max Reinhardt, lernt Richard Strauss und Igor Strawinsky kennen, wird bekannt mit Wassilij Kandinsky und entdeckt Maxim Gorki, einen Bewunderer des Sterlschen Spätwerkes.
„Sein Wort hatte Gewicht, seine Autorität in künstlerischen Kreisen Deutschlands war enorm“, beschreibt Natalia Kardinar, heute wissenschaftliche Kraft des Sterl-Stiftung in Wehlen, die Bedeutung des Malers. Davon zeugen nicht nur viele Ehrenämter, die Sterl bekleidet hat, nicht nur ein lebhafter, geschäftiger Briefwechsel des Künstlers, sondern auch die so oft in diesem Briefwechsel vernehmbare Hilfeersuche: seien es die von Corinth, der im Streit mit Cassirer und in den Auseinandersetzungen an der Berliner Akademie, dessen Korrespondierendes Mitglied Sterl war und der ihn – Sterl – unbedingt an seine Seite bringen wollte, oder Kokoschka, der 1917 bittet, sich der Sache seiner Berufung an die Dresdner Akademie anzunehmen.
Doch so bekannt der Name Robert Sterls in den Kunsthallen, Galerien und an den Fakultäten der ehemaligen DDR auch klingen mag, so unbekannt ist der bedeutende deutsche Impressionist diesseits der alten Grenze in der Bundesrepublik. Mit Ausnahme von Bielefeld, wo seit den fünfziger Jahren zwei Werkschauen mit Bildern des Künstlers aus Privatbesitz zu sehen waren, provoziert der Name im Westen Deutschlands allenfalls überraschte Reaktionen.
In der Bundesrepublik nahezu unbekannt
Wer sich deshalb auf Spurensuche etwa in der 16. und 17. Auflage des Brockhauses begibt, der 1957 in zwölf und 1973 in 20 Bänden erschienen ist, wird schnell enttäuscht: Der Name Sterl fehlt in den dickleibigen Bänden. Vergebens auch die Recherche in Meyers Enzyklopädie, die 1978 in Mannheim verlegt worden ist.
Die fehlende Publizität Sterls ist so neu freilich nicht: Schon 1928 ärgert sich der Kritiker Will Grohmann über die Ignoranz der Zeit: „Unbegreiflich, wie gedankenlos Deutschland ein Menschenalter lang an diesem Maler vorbeigehen konnte, der einer unserer besten Impressionisten ist, einer der fruchtbarsten Förderer des Nachwuchses.“
Dabei hat die Kunstszene im Westen, besonders aber Hessen und vor allem der Wächtersbacher Stadtteil Wittgenborn Anlaß genug, sich an Leben und Werk des bedeutenden Dresdners zu erinnern. Bevor Sterl mit seinen Musikerbildern und den mit Stift und Pinsel notierten Szenen von Steinbrechern und Wolgaschiffern etwa von 1904 an seinem künstlerischen Höhepunkt entgegenarbeitet, hält sich der Maler zwischen 1892 und 1908 fast jedes Jahr über mehrere Monate in Wittgenborn auf und legt die Basis für das reife Werk.
Mit seinen Aufenthalten in Hessen schließt Sterl die Phase der Ausbildung an der Hochschule ab. Mit 14 Jahren hatte sich der begabte Schüler an der königlichen Akademie der Bildenden Künste zu Dresden eingeschrieben und Zeichenunterricht genommen. Schon im elterlichen Hause hatte Vater Friedrich Wilhelm die Neigung seines Sohnes gefördert, soweit die ärmlichen Verhältnisse eine Unterstützung zuließen.
Nach dem frühen Tod des Vaters nahm sich Sterls Schullehrer Ernst Hahn des Jungen an, der dann an der Akademie zwischen 1885 und 1888 im Malsaal von Leon Pohle und im Meisteratelier bei Ferdinand Pauwels sitzt. Methode und Inhalte an der Akademie mißfallen dem jungen Sterl. An ihrem Ausbildungssystem, das auf die Erfordernisse des 18. Jahrhunderts ausgerichtet war, hatte sich seit der Gründung kaum etwas geändert.
„Die Historienmalerei war nach wie vor wichtigstes Fach, an das die Schüler über ein straff geregeltes Klassensystem herangeführt wurden“, beschreibt Irmgard Hiller die Situation an der Hochschule vor der Jahrhunderwende.
Sterl verlangt nach einer lebendigen Anschauung der Natur, doch die professores beharren in ihren Vorstellungen. „Etwas anderes galt nicht und hatte nicht zu gelten“, beschwert sich der Künstler in einem Brief, „wehe, dreimal wehe, wenn es geschah, daß ein Kontour, auf dessen hauchzarte Existenz es ausschließlich anzukommen hatte, bei allem Atemanhalten nun doch eine Spur zu kräftig geworden war.“
„Lieber Tod als conventionell“
In einem Schreiben vom 13. März 1888 an den befreundeten Kunsthistoriker Robert Göhre heißt es über den Ausbildungsplan: „Alle Welt malt Madonnen und den üblichen Christusknaben, ich möchte wohl wissen in der wievieltausendsten Variation … Und da schöpfe ich mitten aus dem Leben lieber als nur aus diesen Idealen der Kunst … Lieber Tod als conventionell.“
Mitte Mal des Jahres 1891 verläßt Sterl die die ungeliebte Anstalt und bezieht eine Wohnung in der Dresdner Caspar-David-Friedrich-Straße. In diesen Monaten hält er Kontakt zum „Goppelner Kreis“, eine Gemeinschaft junger Maler, die des „trockenen Tones satt waren und der akademischen Zuchtrute entrannen“, beschreibt Fritz Löffler die Gruppe.
Die Künstler wollen nicht mehr „vom hohen Kothurn des Übermenschen die Welt … gestalten, sie begegneten dem Leben des Alltags mit seinen Freuden und Leiden, der Natur mit Licht und Luft, in Sonnenschein und Regenwetter.“
Bei den Goppelnern lernt Sterl den in Nordhessen geborenen Maler Carl Bantzer kennen, der 1880 über Berlin nach Dresden gekommen war und starken Einfluss auf die naturalistische Bewegung in der Sachsenstadt ausübte.
Dem neuen Kreis nie recht zugehörig, hält Sterl Distanz zum Geist eines sentimentalen Naturalismus, dem sich die um 1890 gebildete Gruppe hingibt. Der begabte Dissident scheut die künstlerische Verklärung der Welt, die so nicht ist, wie sie die neuen Naturalisten empfinden.
„Schon in seinen frühen Werken hatte Sterl die Dinge gemalt, wie er sie sah und suchte nicht durch anekdotische Züge gefälliger zu wirken“, konzediert Irmgard Hiller. Der junge Maler ist um sachliche Darstellung bemüht, aber seine Haltung ist nie kühl und distanziert“.
Carl Bantzer empfiehlt die Künstlerkolonie Willingshausen
Das unterscheidet ihn von den „Goppelnern“. Sterl sucht nach neuen, von Malern unverbrauchten Landschaften und Typen und gelangt, dem Rat Carl Bantzers folgend, 1892 zum ersten Male in die Künstlerkolonie nach Willingshausen, einem Dorf in der Schwalm (Nordhessen), wo sich Maler aus Frankfurt, Düsseldorf und Kassel seit Beginn des Jahrhunderts zusammenfinden, um Landschaft und Bauern zu studieren.
Innerhalb der neuen Gruppe fühlt sich Sterl offenbar nicht wohl. Möglicherweise mißfallen dem Künstler die allzu schwärmerischen, teilweise idealisierten Figuren, wie sie auf den Leinwänden komponiert werden. „Nirgends sind es Erniedrigte und Beleidigte, die schwer an ihrem Schicksal tragen“, beschreibt Fritz Löffler die Bilder Carl Bantzers, die ein Beispiel für den in der Kolonie gepflegten Stil geben.
Der Kultivierung der falschen Betrachtung will der Gast aus Sachsen entrinnen. „Wer wie Sterl den lauteren Blick für das Echtmenschliche im einfachsten Bauern oder Arbeiter besaß, wer diese Menschenart ernst nahm und ihren künstlerischen Ausdruckswert erfahren hatte,… konnte an dem Willingshäuser Treiben schwerlich Freude haben“, interpretiert Heinrich Becker 1952 in einer der ganz wenigen westdeutschen Publikationen über den Maler. ,,Der umging dieses Stück künstlerisch verbrauchten Landlebens, der suchte, wenn er nach Hessen ging, das ursprüngliche Menschenwesen, wie es in den entlegeneren Hochdörfern durch die Jahrhunderte sich erhalten hatte.“
„Ich denke mir,
daß Wittgenborn für Dich geschaffen ist“
Bantzer muß diese Unzufriedenheit seines Kollegen gespürt haben. In einem Brief vom 6. September 1893 empfiehlt er Sterl ein kleines Dorf auf der Spielberger Platte. ,,Ich denke mir, daß Wittgenborn für Dich geschaffen ist. Le peuple de Wittgenborn est pauvers la pluspart (die Bevölkerung von Wittgenborn ist zum größten Teil arm, d. Red.). Außer kleinen Bauern besteht die Bevölkerung nur aus Töpfern, die nebenbei auch etwas Ackerbau treiben.“
Sterl macht sich auf den Weg und trifft nach den Aufzeichnungen aus einem Skizzenbuch am 21. Oktober 1893 ein. In einem Kalendarium notiert er unter diesem Datum die Worte: „Angekommen in Wittgenborn.“
,,Zunächst ohne festen Aufenthaltsort, mal bei einem Bauern, mal in einer Gastwirtschaft der Umgebung von Wittgenborn übernachtend, … versucht er auf langen Streifzügen, die landschaftliche – Schönheit und Eigenart des hessischen Landes und seiner Menschen in kleinen Ölstudien einzufangen“, schreibt der Kunsthistoriker Horst Zimmermann über die erste Zeit des Malers im Dorf.
Sterl muß in Wittgenborn mit der Arbeit gleich begonnen haben, denn zwischen Oktober und Dezember dieses Jahres entstehen zahlreiche Zeichnungen. Wilhelm Claudius, einem Bekannten aus dem Goppelner Kreis, teilt Sterl am 13. November aus Wittgenborn mit: „Seit einigen Tagen habe ich eine ziemlich große Studie bei einem Häfner angefangen zu malen, wobei ich bleiben werde.“
Sterl vertieft sich in die „stille Existenz der Bauern und Töpfer“
Heinrich Becker merkt über die neue Phase im Leben des Malers an: Hier vertiefte sich Sterl… in die stille Existenz der Bauern, der Töpfer, der Schäfer. Bald in errafften Einzelstudien, bald in sorgfältig durchgeführten Tusche- oder Bleistiftzeichnungen barg er den unerschöpflichen Reichtum seiner täglichen Natur- und Menschenbeobachtung.”
Abseits der Kunstgenossenschaften und Akademien mit ihren idealisierten Kunstprinzipien sucht Sterl in der Umgebung Wittgenborns nach ursprünglichen Motiven. Dazu gehören die Szenen aus den Töpferwerkstätten des Dorfes, in dem zu Beginn des Jahrhundert etwa 700 Menschen leben, viele von ihnen mehr schlecht als recht. Zwar sind die Gemälde nach Auffassung von Irmgard Hiller künstlerisch wenig aussagekräftig, „aber sie lassen Rückschlüsse auf die ärmlichen Verhältnisse der Dorfbewohner zu“.
Im August 1908 notiert Sterl seine Beobachtungen über die Verhältnisse während eines Aufenthaltes in Katwijk aan Zee. In einem Brief an seine Frau Helene schreibt er über die Zustände: „Wie elend ist das alles in Wittgenborn dagegen.“
Zwischen 1893 und 1904 konzentriert sich Sterl ganz auf seine Arbeiten in Hessen. Aber erst vom Jahr 1900 an kommt der Dresdner regelmäßig nach Wittgenborn. Mit dem Ankauf oder dem Bau eines Hauses am Schwarzhaupt 126 im Juni des Jahres – die Darstellungen unterscheiden sich -, verschafft sich der Künstler die Basis für seine Tätigkeit im Dorf.
Vermutlich wegen des Umbaus des neuen Hauses fährt Sterl Ende des Monats nach Stuttgart und Heidelberg, kehrt dann wieder zurück und unternimmt von Mitte August an zahlreiche Wanderungen nach Gelnhausen, Langenselbold und Frankfurt. Über Bad Homburg, Marburg, Willingshausen und Fulda kehrt er Anfang September nach Wittgenborn zurück, wo er zunächst noch im Hause des Bauern Friedrich Stübing wohnt.
Die Familie führt zu dieser Zeit einen Kolonialwarenladen und eine Gastwirtschaft in der Wittgenborner Burggasse. Unter dem Dach des Hauses halten Stübings zwei Zimmer für Handlungsreisende bereit. Dort hält sich Sterl bis zur Fertigstellung des Ateliers auf.
Im folgenden Jahr arbeitet der Maler zwischen Juni und Oktober im heutigen Stadtteil Wächtersbachs und geht im Oktober für einige Zeit nach Elm bei Schlüchtern. 1902 dehnt Sterl seinen Aufenthalt von Juni bis in den November aus.
Die Menschen im Dorf und ihre soziale Situation müssen ihn in dieser Zeit häufig bewegt haben. Der Gast, den viele Wittgenborner bald recht gut kennen, notiert am 12. Juni seine Eindrücke in einem Schreiben an seine Frau Helene, die er 1894 in Dresden kennengelernt und zwei Jahre später geheiratet hatte: „Dann besuchte ich einen von den drei Schäfern am Feuer, er ist sehr krank, lag im Bett, ich gab mich zu erkennen und ihm ein Geldgeschenk. Das war kein frohes, aber doch ein erfreuliches Wiedersehen. Überhaupt, es ist so seltsam, wie mich die meisten auf den Feldwegen mit meinem Namen anreden und mir alle die Gesichter wieder einfallen, als wenn ich gestern noch dagewesen wäre…“
Sterl bricht am 11. November von Wittgenborn über Frankfurt nach Brüssel zu Constantin Meunier auf, einem bedeutenden Bildhauer, und kehrt erst 1903 wieder zurück. In diesem Jahr kommt Sterl bereits einen Monat früher auf die Spielberger Platte und verbringt den Juli auf Schloß Ramholz bei Schlüchtern. Weitere Aufenthalte folgen in den Jahren bis 1908.
Starke Bindung an die hessische Landschaft
Nach Einschätzung von Natalia Kardinar entwickelt der Künstler in diesen Jahren eine starke emotionale Bindung zur hessischen Landschaft. Die sachten, zarten Hügel und Täler faszinieren ihn und drängen den Maler ganz im Sinne der deutschen Freilichtmalerei zu Beginn des Jahrhunderts zur Entdeckung der unbekannten Region. Im Gegensatz zur hessischen Mittelgebirgslage hat ihn die Sächsische Schweiz wegen ihrer dramatischen Züge, ihrer Felsen, „die ihm stark, zu pompös waren“ (Kardinar) nicht zu sehr zu ausführlichen Studien animiert – wohl auch, weil die Dresdner Romantiker die Darstellung der Landschaft in ihren Werken bereits erschlossen hatten und die Maler der älteren Generation ihre Tendenz hin zur Heimatmalerei nie ganz verbergen konnten. In der für Sterl „faszinierenden Umgebung Wittgenborns entstehen nun zauberhafte Bilder und zahlreiche Skizzen“, schwärmt Natalia Kardinar. „Dieser Landschaft gehörte seine unbedingte malerische Liebe“.
Über seine Begeisterung für die neue Landschaft hat Robert Sterl nie die Aufmerksamkeit für die Menschen und ihre Lebens- und Arbeitssituation verloren. Seine Skizzen, Entwürfe und Bilder sind Zeugnisse dieser vorsichtigen, unaufdringlichen Neugier und legen den Grundstein für das bedeutende Spätwerk. Denn mit Ausnahme Liebermanns gilt Sterl als der einzige Impressionist, der sich dieses, für die neue Richtung ungewöhnlichen Sujets angenommen hat und über die bloße Laune hinaus die Arbeitsszenen zum malerischen Programm gemacht hat; gerade das unterscheidet ihn von Liebermann.
Frei von jeder Mitleids- und Elendsmalerei
Sein Blick auf die Töpfer, Schäfer und Bauern war von einem entwickelten Realitätssinn geleitet; falsche Stilisierungen eines schwärmerischen Naturalismus vermeidet Sterl Er hält die arbeitenden Frauen und Männer im Bild fest, ohne sie zu heroisieren und frei von jeder sentimentalen Mitleids- und Elendsmalerei“ (Fritz Löffler), die damals zur Tagesmode gehörte.
„Diese hessischen Zeiten“, schreibt Hans Posse 1929, gehören zu den schönsten des Malers. Hier konnte sich die Sehnsucht nach reiner und einfacher Natur, die Sterl von jeher aus dem Atelier ins Freie und unter einfache Menschen getrieben hat, in aller Freiheit ausleben.“
Es ist die Reifezeit des Künstlers, der bald in Rußland, in den Konzertsälen und in den Steinbrüchen seine Eindrücke in Bilder von höchster Ausdrucksstärke und Qualität umsetzen wird. Hessen war für ihn die erste und breit gegründete Stufe, von der er in der Folgezeit zu noch einfacherer, noch klarerer Verwirklichung seines Welt- und Menschenbildes anstieg“, notiert Heinrich Becker über diese Zeit in Sterls Leben.
Im Haus an der Naundorfer Straße hat der Maler viele seiner Skizzen und Gemälde hinterlassen. Sein Atelier birgt unter zahlreichen anderen eines der frühen Ölgemälde, die in Wittgenborn entstanden sind. Es zeigt die heutige Waldensberger Straße zwischen altem Born und Ortsausgang in Richtung Waldensberg. Hinter einer kleinen Baumgruppe in der linken Hälfte des Bildes schimmern die Konturen des Sterlschen Hauses.
Es liegt versteckt und stiehlt der Sommerlandschaft mit ihrer ruhigen Heiterkeit nicht die Aufmerksamkeit des Betrachters – ein Symbol für das Selbstverständnis Robert Sterls.
Sterls Haus in Wittgenborn ist vor Jahren leider abgerissen worden.