Erschienen in der Frankfurter Rundschau am 11. Oktober 1991
Mahmud Doulatabadi zählt zu den wichtigen Vertretern der zeitgenössischen iranischen Prosa. Der 1940 in der Region zwischen Teheran und Meched geborene Schriftsteller hat seit 1966 Erzählungen, Romane, Drehbücher und Theaterstücke geschrieben. Kürzlich ist im Züricher Unions-Verlag der Roman ,,Der leere Platz von Ssolutsch“ erschienen; Doulatabadi schildert darin den Zerfall der alten sozialen Ordnung und die Verarmung der Menschen in einem Dorf in der nordöstlichen Wüstenregion Irans.
FR-Mitarbeiter Jürgen Schultheis hat sich auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Literaten über die Lage der Schriftsteller in Iran und über die Ausladung der iranischen Verlage unterhalten.
FR: Nach übereinstimmenden richten interessieren sich die Menschen in ihrem Land, aber auch die religiösen Führer, für westliche Denker und Schriftsteller. Kant, Hegel, Marx und Heidegger werden in Iran gelesen. Trifft dies zu?
DOULATABADI: Das stimmt. Selbst die religiösen Intellektuellen befassen sich sehr gründlich mit dieser Gedankenwelt und schaffen hier einen Dialog mit dem Westen. Das ist der Beweis dafür, daß der Iran die Kontakte nach außen dringend braucht und auch versucht, sie herzustellen.
Der iranische Minister für islamische Erziehung, Mohammad Chatami, gilt einigen als Anhänger des freien Wortes. Liegt darin der Grund, warum so viele westliche Bücher in Iran verlegt werden können?
Selbst wenn er nicht ein Anhänger des freien Wortes wäre, wären diese Bücher, auch in diesem Ausmaß, erschienen. Wenn er selbst zu der Meinung gekommen ist, daß er Anhänger des freien Wortes ist, dann freue ich mich.
„Freiheit ist ein zu komplizierter Begriff“
Bedeutet das, daß die iranischen Verlage ein gewisse Freiheit haben zu entscheiden, was sie verlegen?
Freiheit ist ein zu komplizierter Begriff Ich erlaube mir nicht darüber pauschal zu reden. Aber ich bestätige, daß die iranischen Verleger alles versuchen, um Bücher, die sie wollen, zu drucken und zu verteilen.
Man hört außerdem, daß in Iran seit der Revolution mehr Bücher geschrieben, übersetzt und publiziert worden seien als in der 40jährigen Herrschaft des Schah. Dazu gehören vor allem Belletristik, historische, soziologische und philosophische Bücher. Ist das der Beginn einer neuen Blüte der iranischen Literatur?
Ich kann jetzt keine Zahlen nennen, ich kann auch nicht bestätigen, ob diese Behauptung stimmt. Es stimmt nur eines, daß seit der islamischen Revolution eine enorme Zahl von Büchern herausgekommen sind, auch eine enorme Zahl von Büchern neuer Autoren. Außerdem haben sich neue Übersetzer gemeldet, die einen neuen Anfang versprechen. Aber ich will nicht vergessen, daß es viele Bücher gibt, die entweder nicht erschienen sind oder, wenn sie erschienen sind, nicht vertrieben werden durften.
Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Ausladung der iranischen Verlage von der Frankfurter Buchmesse?
Ich mag das Wort „Ausschluß“ nicht, sie waren gar nicht hier, daß man sie hätte ausladen können. Die Einladung wurde aufgehoben. Es waren nur Staatsverlage, aber ich bedauere alle Ursachen, die dazu geführt haben.
Kann man die iranischen Verlage bei der umfangreichen Buchproduktion überhaupt als rein staatliche, also religiös geführte Unternehmen bezeichnen?
Ein Großteil der iranischen Verleger sind Privatverleger, aber die, die hier eingeladen worden sind, das waren staatliche Verlage.
In welcher Weise kann der Dialog zwischen Deutschland und Iran gefördert werden?
Ich bin überzeugt, daß die deutschen Schriftsteller einen großen Teil der Verantwortung übernommen haben, für die Schaffung einer freundlichen Atmosphäre für die iranischen Flüchtlinge und Exilierten. Nun möchte ich meine deutschen Freunde bitten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles zu tun, damit diese Flüchtlinge nicht verbrannt werden. Ich habe gehört, daß bis vorgestern Nacht 72 Heime für Asylbewerber in Brand gesteckt worden sind. Ich bin überzeugt, daß alle Schriftsteller, Journalisten und Medienleute eine große und wirksame Rolle spielen können, um diese furchtbare Katastrophe zu vermeiden.
Eine organische Verbindung
mit deutschen Schriftsteller zustande bringen
Und wie kann der Dialog zwischen den Menschen gefördert werden?
Gerade in dieser Richtung habe ich eine Einladung an Uwe Friesel, den Vorsitzenden des deutschen Schriftstellerverbandes, ausgesprochen, aber das iranische Auswärtige Amt hat das abgelehnt. Ich hoffe, daß das nächste Mal, wenn ich eine Einladung ausspreche, dem auch zugestimmt wird. Das ist ein Weg, wie man den Dialog zustande bringen kann. Ich bin einer der Personen, der den iranischen Schriftstellerverband noch einmal ins Leben rufen will, damit diese organische Verbindung mit den deutschen Schriftstellern zustande kommt.
Werden Sie sich für die Teilnahme iranischer Verlage an der Frankfurter Buchmesse im nächsten Jahr einsetzen?
Nicht nur, daß ich damit einverstanden bin und mich dafür einsetze, sondern ich hoffe auch, daß eines Tages die Buchmesse unter dem Motto „Iran“ steht. Wenn ich sage, iranische Verlage, meine ich sowohl die privaten wie auch die staatlichen Verlage. Mein letztes Wort: Die Mehrzahl der Behauptungen, die eine Frau namens Betty Mahmoody über Iran gemacht hat, hat für mich überhaupt keine Geltung.
Herr Doulatabadi, danke für das Gespräch.