Zwischen völkisch-nationalem
und modern-liberalem Weltbild

Francisco Goya: „Der Schlaf der Vernunft gebiert Monster.“

Wer Antisemitismus und Ausländerhass hier zu Lande verstehen will, muss tiefer in die deutsche Geschichte eintauchen. Die Selbstradikalisierung der extremen Rechten, wie wir sie kürzlich auf dem Parteitag der AfD (Januar 2025) erleben konnten, als eine Rednerin in gespielter oder inszenierter Rage das Wort „Remigration“ in dieser Szene endgültig hoffähig gemacht hat, findet ihren Ursprung in der deutschen Romantik und den Tagen des Vormärz, jener Zeit vor der Revolution von 1848, als sich die Burschenschaften in Deutschland gegründet haben und sich in völkisch-nationale „Deutsche“ und aufgeklärt-moderne „Philosophen“ geteilt haben.

Diese Teilung ist eng verbunden mit den damals einflussreichen Protagonisten, die häufig an den Universitäten Theologie und Philosophie lehren: Arndt, Fries und Jahn stehen für die national-völkische und häufig auch explizit antisemitische Richtung, Hegel für Aufklärung und liberalen Geist und damit für eine andere Richtung. Die einen wollen unter dem Schlagwort Revolution zurück ins Mittelalter, der bzw die anderen nach vorne in die Moderne. Der hier veröffentlichte Text ist zu Pfingsten 1997 auf der Dokumentationsseite der Frankfurter Rundschau erschienen.

Ausländerfeindlichkeit, Remigration, NSDAP, NPD, AfD.
Auch eine deutsche Tradition:
Von der NSDAP über die NPD hin
zur AfD der Gegenwart.

Damals planten die deutschen Burschenschaften ein Bundestreffen in der Frankfurter Paulskirche. Der Frankfurter Magistrat lehnte es damals, den Ort des ersten deutschen Parlamentes an die Burschenschaften zu vermieten.

Im 1848er-Parlament der Paulskirche waren viele Burschenschaftler unter den Abgeordenten vertreten, Ernst Moritz Arndt saß als alter, greiser Mann in der ersten Reihe des Frankfurter Nationalparlaments. Kaum eine Bewegung der neueren Geschichte Deutschlands birgt so viele Widersprüche wie die Historie dieser Burschenschaften und ihr Einfluss auf die Abgeordneten in der Paulskirche. Die Geschichte zeigt aber auch, wie liberaler Geist und reaktionäres Bewusstsein, Aufklärung und Gegenaufklärung im Widerstreit liegen – darin liegt der aktuelle Bezug dieser Analyse, die ich vor 30 Jahren geschrieben habe.

 

Erschienen in der Frankfurter Rundschau zu Pfingsten 1997

 

Burschenschaften: „Aller deutschen Welt
zeigen, wes Geistes Kinder wir sind“

Der Student Hans Ferdinand Maßmann hat seinen teutonischen Kopf nicht über die Maßen belastet. Vermutlich hat der junge Berliner bis zu diesem denkwürdigen 18. Oktober 1817 wenig oder keine der zwei Dutzend Bücher gelesen, die er „Schandschriften des Vaterlandes“ nennt und die nun im Feuer vergehen sollen.

Die Unkenntnis über den Inhalt der Bücher und die Entschlossenheit, die Titel zu vernichten, teilt er mit der Gruppe von Kommilitonen, die in dieser sternenklaren Nacht auf dem Wartenberg bei Eisenach einem folgenschweren Schauspiel beiwohnen. Wie einst Luther die Bannbulle des Papstes verbrannt hatte, will die Maßmannsche Gruppe „aller deutschen Welt zeigen, wes Geistes Kinder wir sind, welchen Geist wir meinen“.

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Titelbild des Code Napoleon.

So kommt in den Flammen zusammen, was nicht zusammengehört: Schriften von Ancillon, Kamptz, Haller und Schmalz – Konservative und Reaktionäre – werfen die Studenten ebenso in den lodernden Holzstoß wie den Code Napoléon, Bücher der Liberalen Wangenheim und Benzenberg, Immermanns Ein Wort zur Beherzigung, Kotzebues Geschichte des deutschen Reiches und Die Germanomanie  Aschers, der sich kritisch mit Vorurteil und Egoismus der neuen studentischen Bewegung beschäftigt hatte.

„Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judentum und wollen über unser Volkstum und Deutschtum spotten und schmähen“ rufen die Maßmänner, als sie Aschers Buch in die Flammen werfen.

Die symbolische Bücherverbrennung an diesem 18. Oktober schreckt Fürsten und Bürger gleichermaßen auf und macht das Wartburgfest der Burschenschaften, in dessen Verlauf die Schriften vernichtet worden sind, zum Signal für die aufkommende nationale Bewegung. Und hätte die Maßmannsche Gruppe auf das Autodafé verzichtet, die von Turnvater Friedrich Ludwig Jahn inspiriert und vom Jenaer Philosophieprofessor Jakob Friedrich Fries gebilligt worden war, der „garstige Wartburger Feuerstank (Goethe) hätte nicht die Nase jenes Mannes reizen können, der Wortführer der Restauration ist: Fürst Metternich.

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Jakob Friedrich Fries (v.l.), Friedrich Ludwig Jahn und Ernst Moritz Arndt.

Das Wartburgtreffen war in einer Zeit der Zersplitterung der deutschen Länder vermutlich die erste politische Kundgebung in der Geschichte Deutschlands, die der Nation das Wert redete, gewiß aber die erste große politische Demonstration der Restaurationszeit. Und mit dem Ende der Befreiungskriege gegen Napoleon markiert das Treffen in Eisenach 1817 den Beginn und die Revolution von 1848 das Ende von Restaurationszeit und Vormärz.

Vor diesem Hintergrund sind die Burschenschaften nach 1945 im Osten und Westen Deutschlands als als Vortrupp der bürgerlichen Revolution und als Bewegung bezeichnet worden, die sich verbunden hat mit den Forderungen des liberalen Bürgertums, monarchisch-autoritärer Macht durch freiheitliche Verfassungsrechte einzuschränken.

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Die Kleidung der Studenten im Vormärz: In den 80er Jahren hat Jo Faulstich für den Hessischen Rundfunk einen Kurzfilm über diese Zeit gedroht, mein damaliger Kommilitone Thomas Caspar und ich waren als Statisten für die Aufnahmen verpflichtet worden. Der Film ist auf dem Weiherhof zwischen den Wächtersbacher Stadtteilen Wittgenborn und Waldensberg gedreht worden. Der Weiherhof war ein altes Gehöft der Ysenburger, das heute der österreichischen Constantia Forst gehört. Infos nach dem Klick auf das Bild. (Bild: J. Schultheis

Doch kaum ein Zusammenschluss in der neueren Geschichte Deutschlands birgt mehr innere Widersprüche als jene Burschenschaften. Religiöse Sendung und nationaler Wahn, liberaler Geist und reaktionäres Bewusstsein, orientiert an den Anforderungen der bürgerlichen Welt und dem selbstgeschaffenem Traum der ständisch gegliederten Welt, aufklärerisch in einem Moment, gegenaufklärerisch im nächsten, tief humanistisch und zuweilen ausgeprägt  antijüdisch: manches  widerspricht sich und fließt ineinander über.

Beeinflusst ist das alles durch führende Burscherschaftler und Professoren. Denn „ohne aktive Förderung und pädagogisch-politische Führung seitens nicht-studentischer älterer Mentoren (Helmut Asmus) ist die erste studentische Bewegung nicht denkbar.

Auf der einen Seite steht die Gruppe um Friedrich Ludwig Jahn, Initiator der Turnerbewegung, Ernst Moritz Arndt, Geschichtsprofessor in Bonn, Jakob Friedrich Fries, Philosophieprofessor zunächst in Heidelberg, später in Jena, und Heinrich Luden, Geschichtsprofessor in Jena, auf der anderen Seite der Hauslehrer und spätere Philosophie-Professor Georg Wilhelm Friedrich Hegel und seine Schüler und Kollegen Friedrich Wilhelm Carové, Karl Daub und Anton Thibaut, Um Jahn, Arndt und Fries scharen sich die „Deutschen“, um Hegel und seine Anhänger die „Philosophen“, wie sie der Heidelberger Burschschaftler Richard Rothe nennt. Dort plädieren die Studenten für den exklusiven völkisch-nationalen, hier für den humanistisch geprägten Verfassungsstaat. Romantik steht gegen Idealismus, Gefühl gegen Abstraktion.

Burschenschaften: Eine der ersten
Bewegungen politischen Glaubens in Deutschland

Zwischen diesen Polen entwickeln sich die Burschenschaften rasch zu einer der „ersten Bewegungen des politischen Glaubens in Deutschland: der einzelne identifiziert sich persönlich mit der Sache der  Nation und setzt sich für sie in Tat und Opfer ein“ (Thomas Nipperdey). Wem freilich das Opfer gilt, vor allem für was das Opfer gebracht werden soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Es ist die zentrale Frage der Burschenschaften und mit ihr der nationalen Bewegung: „Tritt man ein für citizenship und civil society und damit für einen Verfassungspatriotismus, dessen Kraft darin liegt, daß er den Regeln des Zusammenlebens gilt und nicht der Größe des Territoriums oder der Stärke der Wirtschaft oder gar der Überlegenheit der Rasse“, wie es Ralf Dahrendorf in Erinnerung an den Vormärz 1990 formuliert hat?

Oder favorisiert man den völkisch-nationalen Staat, in dem germanische Abstammung, christliche Gesinnung und die Abneigung gegen alles Französische und Jüdische Vorbedingungen sind?“ Also für Auffassungen streitet, die seit Arndt und Fries die Mentalität eines großen Teils des deutschen Bürgertums geprägt haben und eine Konstante im deutschen Geistesleben geworden ist, worauf der Frankfurter Philosoph Jürgen Habermas noch im gleichen Jahr hingewiesen hat?

Gründung der ersten Burschenschaft in Jena

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Prof. Heinrich Luden,
Theologe und Publizist.

Solche Widersprüche und Differenzen traten schon vor und während des Wartburgfestes zutage. Die Vorgeschichte beginnt zwei Jahre früher, als unter Leitung der Studenten Horn, Riemann und dem Fries-Schüler Scheidler die erste Burschenschaft in Jena gegründet wird. Am 12. Juni 1815 bilden 143 Studenten unter dem Einfluß der Professoren Luden und Fries und auf der Grundlage Jahnscher Überzeugungen die neue Korporation.

Kurze Zeit später firmieren in Gießen Mitglieder der „Teutschen Lesegesellschaft zur Erreichung väterländisch-wissenschaftlicher Zwecke“ unter dem Namen „Bund der Schwarzen“, aus der im Juni 1815 die Burschenschaft „Germania“ hervorgeht. Sie steht unter dem Einfluß Arndtscher Gedanken.  Bereits ein Jahr zuvor hatte Ludwig von Mühlenfels in Heidelberg eine „Teutonia“ begründet, die sich am 27. Februar 1817 in eine „Allgemeine Burschenschaft“ umwandelt.

Nicht wenige Studenten, die hier zusammenkommen, hatten im Verlauf der Befreiungskriege im Freikorps des Majors von Lützow gekämpft und waren nach dem Sieg über Napoleon mit der Hoffnung zurückgekehrt, eine gesamtdeutsche Nation bilden zu können.

Sie sehen sich freilich getäuscht: Im Zuge der Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongreß gründen die deutschen Fürsten und Städte den Deutschen Bund. Ihm gehören 39 Mitglieder an, unter ihnen die Könige von Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden. Preußen zählt nur zur Hälfte, Österreich etwa zu einem Drittel zum Gebiet des Bundes, in dem etwa 30 Millionen Menschen leben.

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Delegierte des Wiener Kongresses in einem zeitgenössischen Kupferstich von Jean Godefroy nach dem Gemälde von Jean-Baptiste Isabey 1 Arthur Wellesley, 1. Duke of Wellington, 2 Joaquim Lobo da Silveira, 3 António de Saldanha da Gama, 4 Carl Axel Löwenhielm, 5 Paul-François de Noailles, 6 Klemens Wenzel Lothar von Metternich, 7 Frédéric-Séraphin de La Tour du Pin Gouvernet, 8 Karl Robert von Nesselrode, 9 Pedro de Sousa Holstein, 10 Robert Stewart, 2. Marquess of Londonderry, 11 Emmerich Joseph von Dalberg, 12 Johann von Wessenberg, 13 Andrei Kirillowitsch Rasumowski, 14 Charles Vane, 3. Marquess of Londonderry, 15 Pedro Gómez Labrador, 16 Richard Trench, 2nd Earl of Clancarty, 17 Nikolaus von Wacken, 18 Friedrich von Gentz, 19 Wilhelm von Humboldt, 20 William Cathcart, 1. Earl Cathcart, 21 Karl August von Hardenberg, 22 Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, 23 Gustav Ernst von Stackelberg. Die Nummer sind von Maciej Szczepańczyk zugewiesen worden.
Bildquelle nach Klick auf das Bild.

In Artikel 2 der Bundesakte legen die Fürsten und Städte die Unverletzlichkeit der Grenzen der deutschen Staaten fest. Der Partikularismus, die deutsche Kleinstaaterei, ist damit vertraglich fixiert. „Du armes deutsches Volk“ schreibt Arndt kurz nach Abschluß der Verhandlungen in einem Flugblatt unter dem Titel „Der Deutsche Bund wider das Deutsche Reich, Dutzend, die, wenn es deutsche Sachen betrifft, nie einig werden können … Macht das deutsche Volk zu einem Volk.“

Einstweilen wollen wenigstens die Studenten eine Burschenschaft bilden und die angestrebte Einheit der Nation vorwegnehmen. Wer aber gehört in die Reihen des Volkes und damit in die neuen Korporationen? Eine Frage von nicht geringer Bedeutung, weil die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft für eine wachsende Mehrheit gleichsam als Ausweis deutscher Volks- und damit Nationalzugehörigkeit verstanden wird.

Antijudaismus

Die Antwort scheidet die „Deutschen“ streng von den „Philosophen“, die Völkisch-Nationalen von den Humanistisch-Liberalen, und sie wirft ein Licht auf den widerspruchsvollen Geist mancher Korporation, die im extremen Fall radikal-demokratische Forderungen mit einem expliziten Antijudaismus vereinbaren zu können glaubt, während andere Burschenschaften der Frage der Glaubenszugehörigkeit kaum oder gar keine Bedeutung zumessen.

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Heinrich Bernhard Oppenheim

Die Aufnahme oder Ablehnung von Juden gerät damit zu einem Prüfstein für die Liberalität und damit Modernität der Burschenschaften und zur Nagelprobe für die Liberalität und damit Modernität der Burschenschaften und zur Nagelprobe für ihr Verhältnis zur Aufklärung, die gut ein Jahrhundert zuvor die Gleichheit all dessen postuliert, was Menschenantlitz trägt, und eben diese Gleichheit der einzelnen auch vor dem Gesetz ausgerufen hat.

Dem Liberalismus gilt die Religion deshalb als Gewissensangelegenheit des einzelnen, und die Gesellschaft versteht die fortschrittliche Denkrichtung nicht als christlich-nationale Gemeinschaft mit ausschließendem Charakter, sondern als Ausdruck rational-sittlicher Prinzipien. Folgerichtig wird die Forderung nach Emanzipation der Juden nicht nur zum „Probstein des deutschen Liberalismus“, wie Heinrich Oppenheim 1842 notiert, sondern auch zum Probstein für die Burschenschaften. Dabei war die Frage der Gleichheit vor dem Gesetz in Frankreich längst beantwortet worden. Die Erklärung der Menschenrechte 1789 und die Deklamation der Verfassung von 1791 geben den Juden volle Bürgerrechte. Zehn Jahre zuvor war die Emanzipation der Juden in Deutschland angeregt worden.

 

Hegel: Der Mensch gilt so,
weil er Mensch ist, nicht weil er Jude,
Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist“

 

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Christian W. Dohm.

Der preußische Archiv-Superintendent Christian Wilhelm Dohm weist 1781 in seiner Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden auf die unerträgliche Lage der Glaubensgemeinschaft hin, gibt der Christenheit die Hauptverantwortung für die Not und fordert die umgehende Aufhebung aller Vorschriften, die Juden den Zugang zu bürgerlichen Berufen verwehren. Später übersetzt Graf Mirabeau, Fürsprecher der konstitutionellen Monarchie und 1791 Präsident der französischen Nationalversammlung, die Dohmsche Schrift.

Die Rheinbundländer Baden und Westfalen, vor 1814 im Einflußbereich Napoleons, erklären die Juden 1808 als gleichberechtigt, das Großherzogtum Frankfurt unter Dahlberg folgt 1811, Preußen erläẞt ein Emanzipationsedikt am 11. März 1812. Drei Jahre später behandelt der Wiener Kongreß die Frage auf der Grundlage eines Entwurfes Wilhelm von Humboldts, der in der Schlußakte in einer folgenreichen Variante erscheint und die Juden der ehemaligen napoleonisch beherrschten Rheinbundstaaten um ihre Gleichberechtigung bringt.

Die Emanzipation berührt die Burschenschaften unterschiedlich: Die Gießener Schwarzen etwa geben sich den Ehrenspiegel als Verhaltenskodex, in dem es heißt, daß es ,,des Burschen Bestimmung ist, zu einem ächten Christen und Teutschen Bürger sich zu bilden“, denn „gläubiges und volkstümliches Streben sind innig eins“. Die Aufnahmen von Juden und Ausländern lehnen die Schwarzen ab.

„Juden als Feinde der Volkstümlichkeit sind ausgeschlossen“

Sie stehen unter dem Einfluß Arndts, der 1815 in seiner programmatischen Schrift Über den deutschen Studentenstaat schreibt, daß die akademische Freiheit ,,die lieblichste und köstlichste Blume des germanischen Geistes und des germanischen Christentums“ sei. Als germanisch werden die Menschen jüdischen Glaubens freilich nicht angesehen. Die Erlanger „Teutonia“ stößt ins gleiche Horn und stellt 1817 fest: „Auch Juden als die Feinde unserer Volkstümlichkeit sind ausgeschlossen.“ Die Heidelberger „Teutonia“ holt ebenfalls nur Deutsche von Geburt und Bekenner der christlichen Religion in ihre Reihen. Ausgeschlossen ist aber auch, ,,wer je dem Fremden freiwillig und freudig angehangen, wer französische Grundsätze geübt, nach ihnen gehandelt hat“.

Mit all dem meint man es durchaus ernst: 1816 nehmen die „Teutonen“ ihren Professor Fries gegen eine Kritik der Frankfurter Zeitung in Schutz. Fries hatte die antijüdische Schrift des Berliner Historikers Friedrich Rühs Über die Ansprüche der Juden an das deutsche Bürgerrecht wohlwollend rezensiert und dabei Stellung gegen die Emanzipation bezogen. Das hatte die Zustimmung der judenfeindlichen Burschenschaften gefunden.

Eine neue christliche Ritterschaft

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Friedrich Wilhelm Carové.

„Die Burschen fühlten sich als eine neue christliche Ritterschaft und zeigten ihren Judenhaẞ mit einer groben Unduldsamkeit, die oft stark an die Tage der Kreuzzüge erinnerte“, schreibt der Historiker Heinrich von Treitschke. Gewiß nicht überall – Marburg und Jena etwa bleiben von solchen Entwicklungen erst einmal verschont.

Doch das Bild ändert sich bald: In Heidelberg gewinnt um die Jahreswende 1816/17 mit dem 28jährigen Hegel-Anhänger Friedrich Wilhelm Carové die „philosophische“ Richtung innerhalb der Burschenschaft die Oberhand: Jetzt steht den Juden der Eintritt in die Korporation offen. Manche Kommilitonen nehmen deshalb Anstoß am liberalen Geist Carovés. Der Burschenschafter Fritz Ullmer schilt ihn einen „hemmungslosen Friedens- und Humanitätsfreund“.

Umgekehrt nimmt Fries, inzwischen von Heidelberg nach Jena gewechselt, Einfluß  an der weimarischen Lehranstalt. Auf der Wartburgfeier im Oktober 1817 behält die Carovésche Richtung die Oberhand, und die Bücherverbrennung bleibt eine Aktion ,,fanatischer Urteutonen aus Jahns Schule“ (Heinrich von Treitschke).

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Karl Follen.

Aber schon zwei Jahre später hatte sich die „teutonische Richtung“, die Christlich-Nationalen, weitgehend durchgesetzt. Bis nach Freiburg strahlt etwa der Geist der Gießener Schwarzen und ihres Führers Karl Follen aus, dieses wahnhaft entschlossenen Radikalen, dessen „,düstere Gestalt“ (Hermann Haupt) die burschenschaftliche Geschichtsschreibung dennoch in die „Ehrenhalle“ aufgenommen hat.

Der Mord am erfolgreichen Unterhaltungsschriftsteller August von Kotzebue am 23. März 1819 und die Judenpogrome in diesem Sommer provozieren die Karlsbader Beschlüsse, mit denen die Fürsten des Deutschen Bundes die Burschenschaften auflösen und eine scharfe Pressezensur verlangen.

In den Ereignissen fallen Licht und Schatten der ersten deutschen Studentenbewegung in einem Punkt zusammen: Der fanatische Follen-Anhänger Karl Sand hatte Kotzebue in Mannheim erstochen, weil er als Gegner der nationalen Sache und als russischer Spion verschrien war. Weil Kotzebue die Burschenschaften verächtlich gemacht hatte und dazu als Parteigänger des Zaren verhaẞt war, konnte sich Sand ohne Mühe auf die krude Logik Follens berufen.

Bewegt von den Gedanken ihrer Professoren sind vermutlich auch jene christlich-nationalen Studenten, jene „Deutschen“, die in Darmstadt und Würzburg, später auch in Breslau, an den Pogromen gegen die Juden teilnehmen oder sie anführen. In anderen Orten wie Mannheim, Hamburg und Frankfurt sind es vor allem Handwerksburschen, die gegen die Juden vorgehen.

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Anton Thibaut (li.) und Karl Daub

Nur in Heidelberg treten die Burschen unter der Leitung ihrer Professoren Anton Thibaut und Karl Daub heraus – beide sind Freunde Hegels – und verteidigen die Juden mit blankem Degen. Das alles ist kein Zufall: Mit der Attacke gegen oder im Eintreten für die Juden werden die Vertreter der beiden Denkrichtungen handgreiflich: Die Schulen Arndts, Fries‘ und Jahns und die Hegels, Carovés und Thibauts.

Arndt hatte 1814 in seinem Buch Blick aus der Zeit auf die Zeit geschrieben, daß alle,,unsere Staaten… mehr oder weniger auf dem Christenthum und seinen Lehren gegründet“ sind, die Juden aber ,,mit ihrer schroffen und alles Andere feindselig ausschließenden Art völlig außerhalb dem Christenthum“ stehen und unfähig seien, „volle Bürger zu sein“. Sie sind ihm eine „fremde Plage, … ein entartetes und verdorbenes Volk“, eine „Plage und Pest der Christen“: Und wie „Fliegen und Mücken und anderes Ungeziefer flattert der Jude“ herum.

Arndt warnt deshalb: „Wahrlich also sehr unrecht haben diejenigen gethan“, die „den Juden gleiche Bürgerrechte mit den Christen bewilligt haben.“ Südeuropäer, vor allem Franzosen, seien den Juden „viel gleichartiger“ als „dem Karakter der Teutschen“.

Plage und Pest der Christen

Nicht weniger deutlich warnt Fries in seiner 1816 veröffentlichten Rezension Über die Gefährdung des Wohlstands und Charakters der Deutschen durch die Juden: „Judenschaft ist eine Völkerkrankheit“ und deshalb will er auf der Juden „Schmutz, ihre Arbeitsscheu, ihre Wuth auf prellsüchtigen Handel“ aufmerksam machen. Sie sind eine durch theokratischen Despotismus eng verbundene, durch eine eigne Religion zusammen verschworene Krämer- und Trödlerkaste.“ Der Jude schmiege sich als „Schmarotzerpflanze oder Blutsauger an ein fremdes Leben an und entkräftet dieses“. Fries folgert, daß die,,Judenkaste… mit Stumpf und Stiel ausgerottet“ werden müsse.

Friedrich Ludwig Jahn geht darüber hinaus, seine Antipathie ist genereller Art: „Haß alles Fremden ist des Deutschen Pflicht“, lautet sein Motto. Andere Publizisten der Zeit, von Hartmut von Hundt-Radowsky (Judenspiegel, 1819) bis zum Frankfurter Volksdichter Johann Wilhelm Sauerwein (Beleuchtung der Judenemancipation, 1831) stehen kaum hinter Arndt, Fries und Jahn zurück.

Dort ist das Undeutsche, Verkommene, das „in Mischlingsvölkern, die durch Verbastardung entstanden sind“, vorherrschend, wie es Arndt nennt.  Dagegen steht das ursprüngliche, deutsche Volk, das sich durch „Stille, Einfalt, Bescheidenheit und Einfachheit“ auszeichnet. Sinnbild dieser Reinheit ist der christliche Germane und sein mittelalterliches Reich.

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel.

Georg Wilhelm Friedrich Hegel und seine Schüler und Anhänger lehnen diese Auffassungen strikt ab. Der Burschenschafter Karl Förster schreibt am 24. Juli 1820 von seinem Kommilitonen Griesheim, der von Hegels „Einfluß zur Unterdrückung übertriebener Deutschtümerei“ berichtet. Der Philosophielehrer und erklärte Gegner von Fries hegt Sympathie für die Burschenschaften, warnt aber vor einer „falschen und gefährlichen philosophischen Richtung“. (Jacques d’Hondt).

Schon am 9. Oktober 1814 hatte Hegel in Anspielung auf die Germanomanie spöttisch vom „gelobten Lande des Deutschdumms“ geschrieben. Aber auch den Burschenschaftern war der Gegensatz zwischen den Arndtschen und Friesschen ,Deutschen´ einerseits und den ,Philosophen“ andererseits nicht verborgen geblieben.

„Den, Deutschen‘ stehen in der Burschenschaft e diametro gegenüber die sogenannten Philosophen oder Hegelianer …  Sie sind den Deutschen die Verhaßtesten, vor allem unter ihnen Carové, der mir in dieser Hinsicht jetzt vollkommen gefällt“, schreibt der Burschenschafter Richard Rothe in einem Brief vom 16. August 1819 an seinen Vater. Rothe sagt aber auch: „Das Ausländische zu hassen, wenn es gut und löblich sei, soll uns ebenso wenig in den Sinn kommen, als das vaterländisch Falsche und Schlechte als recht und gut anzuerkennen.“

Hegel: „Eine kahle und anmaßende Sekte“

Literarisch reagieren etwa Franz Grillparzer und Heinrich Heine auf das grassierende Deutschdumm: In seinen satirischen Korrespondenznachrichten aus dem Lande der Irokesen von 1820 karikiert Grillparzer die Urtümlichkeit der selbsternannten Germanomanen, ihren „echt nationellen Sinn, echt volkstümliche Bildung, echt vaterländisches Leben. Oh mein Freund, wie glücklich bin ich! Wenn wir so abends … bei einer Pfeife Tabak unter den uralten Eichen sitzen und Bier trinken aus den Hirnschädeln erschlagener Franzosen und Engländer, und die Trinker nach der Reihe altväterliche Lieder singen oder erzählen, wem der Schädel gehört habe, aus dem er jetzt trinkt, wie er gewonnen worden im ritterlichen Streit…oh Freund! Was sind dagegen eure Klubs, eure Gesellschaften, eure Zirkel.“

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Heinrich Laube.

Von Heinrich Laube, der zusammen mit Heinrich Heine und Karl Gutzkow das von den völkisch-nationalen Burschenschaften heftig befehdete Junge Deutschland bildet, ist eine ironische Beschreibung des Turnvaters Jahn überliefert. „Unter dem schlotternden blauen Oberhemd sah man eine behaarte Brust und ahnte ein paar kurze unbedeutende Beine, um welche teutsche weite Leinenhosen flatterten, … und so ausgerüstet ließ er sich auf einem harten Gestell nieder, was wir in seiner Gegenwart nicht Sofa zu nennen wagten. Denn die alten Teutschen lagen auf Bärenhäuten und nicht auf Sofas.“

Auch Heine, der bei Hegel Vorlesungen gehört hat und mit dem Hegelschüler Eduard Gans in Hamburg befreundet ist, rechnet mit den „Deutschen“ alsbald ab: Er erinnert sich an einen Aufenthalt in Göttingen, wo die ,,altdeutschen Freunde die Proskriptionslisten anfertigen für den Tag, wo sie zur Herrschaft gelangen würden. Wer nur im siebten Glied von einem Franzosen, Juden oder Slawen abstammte, ward zum Exil verurteilt.“

Zurück ins Mittelalter

Beißende Kritik, ätzende Satire und warnende Stimmen verhindern nicht, daß die „Philosophen“ im Disput mit den „Deutschen“ innerhalb der Burschenschaft zu Beginn der 20er Jahre ins Hintertreffen geraten. Die „Verteidigung der Reinheit des Urdeutschtums“, der ursprünglichen deutschen Volksseele, der Anspruch der Deutschtümler, „ins Mittelalter oder sogar in den Teutoburger Wald zurückzukehren“ (Friedrich Engels) obsiegt und Hegel bricht mit diesem Teil der Burschenschaft. Er nennt sie nun eine „kahle und anmaßende Sekte“ und rechnet mit den „Deutschen“ und ihrem Mentor Fries in der Vorrede zu seiner 1821 erschienenen Rechtsphilosophie scharf ab.

Unter dem Abschnitt „Rechtspflege“ liefert Hegel dann seinen Probstein des Liberalismus: „Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist, nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist.“ In diesem Geist hatte Hegel seine Studenten unterrichtet, und es war diese Überzeugung, die Thibaut und Daub in Heidelberg zwei Jahre zuvor mit ihren Burschenschaftern auf die Straße getrieben hatte, um die Juden gegen den Pöbel zu verteidigen praktische Philosophie gegen den christlich-nationalen Wahn.

Es ist diese vornehme liberale Tradition, die den Gedanken hinführt zu jenen Parlamentariern, die in der Paulskirche die erste deutsche Verfassung beraten gleichsam die Antithese zur Geburt des völkisch-nationalen Staates aus dem Geist der Romantik, bei der die Deutschen“ unter den Burschenschaftern als Hebammen zur Seite stehen.

Das ändert sich erst in den frühen 40er Jahren, als mit dem studentischen Progreẞ jene humanistisch-liberale, wenngleich auch radikale Richtung wieder zu dominieren beginnt.